Auf einen Wodka mit Jewgenija Knoroz: Die Ukraine hat andere Sorgen als die Europameisterschaft

Trier · Vier Jahre, nachdem die Ukraine EM-Gastgeber war, herrscht Krieg im Land von Jewgenija Knoroz. Die MJC-Handballerin glaubt nicht an einen Auftaktsieg ihres Teams gegen Deutschland - zu Hause haben die Menschen zudem andere Probleme als die Europameisterschaft.

 Anstoßen mit Wodka: Die ukrainische MJC-Handballerin Jewgenija Knoroz spricht mit TV-Mitarbeiter Björn Pazen über die schwierige Situation in ihrem Heimatland. Foto: privat

Anstoßen mit Wodka: Die ukrainische MJC-Handballerin Jewgenija Knoroz spricht mit TV-Mitarbeiter Björn Pazen über die schwierige Situation in ihrem Heimatland. Foto: privat

Foto: Bjoern Pazen (BP) ("TV-Upload Pazen"

Bei der Europameisterschaft 2012 saßen Jewgenija Knoroz und ihr Vater noch im seinerzeit gerade neueröffneten Donbass-Stadion ihrer Heimatstadt Donezk und sahen sich EM-Spiele an. Heute ist in der Industriemetropole nichts mehr, wie es einmal war: "In Donezk ist immer noch Krieg, und das Stadion wurde durch Angriffe größtenteils zerstört", sagt Handballerin Knoroz (29), die seit Dezember 2015 in Trier lebt und für die Miezen spielt. Ihre Eltern sind mittlerweile aus Donezk geflüchtet, sie ist in Sachen Handball schon seit 2007 auf "Europatour", spielte in Polen, Schweden und auch bei einigen deutschen Vereinen, bevor sie nach Trier kam.

An der Hochschule macht die studierte Betriebswirtin gerade ihren Bachelor in Wirtschaftsinformatik, sucht über den Handball hinaus - von dem man in Deutschland nicht leben kann - einen Beruf. Am Sonntagabend, wenn ihre Ukrainer der erste deutsche EM-Gegner sind, wird Knoroz mit einer anderen ukrainischen Handballerin in ihrer Wohnung in Trier-Süd auf dem Sofa sitzend die Partie im Fernsehen schauen: Tatjana Nykytenko, langjährige Mieze, noch länger bei der HSG Wittlich und jetzt mit fast 40 Jahren immer noch der Star beim luxemburgischen Spitzenklub Museldall Grevenmacher. Und welche Chance räumt die Handballerin ihren kickenden Landsleuten gegen den Weltmeister ein? "Eigentlich keine großen. Ich glaube nicht, dass die Ukraine gewinnt."

Es wäre auch der erste Sieg einer ukrainischen Mannschaft gegen die DFB-Auswahl in der Länderspielgeschichte. Vor vier Jahren drehte sich im EM-Gastgeberland Ukraine alles um Fußball, mittlerweile bestimmen der Krieg, die Waffen und die Politik den gesamten Alltag. "Die Ukraine ist ein gespaltenes Land", sagt Knoroz, "vielleicht kann der Fußball die Menschen etwas von ihrem Schicksal ablenken, aber ich glaube nicht, dass die EM die Nation wieder einen kann." Zu tief seien die Gräben zwischen den pro-westlichen Gruppen sowie den pro-russischen. "Aber lass' uns über Fußball reden, nicht über Politik…"Schewtschenko auf der Bank

Wenn man an den ukrainischen Fußball denkt, fällt nicht nur den Experten ein Name ein: Andrej Schewtschenko, der seinerzeit teuerste Transfer der Fußballgeschichte, als er 1999 von Dinamo Kiew zu Inter Mailand wechselte. Die ukrainische Ikone stand in jener Mannschaft, die bei der WM 2006 ins Viertelfinale einzog. Danach wechselte der heutige Co-Trainer der Nationalmannschaft für 46 Millionen Euro nach Chelsea. Aber auch in der Region hat ein Ukrainer fußballerische Spuren hinterlassen: der Ex-Schalker Vladimir Ljutyj, der beim FSV Salmrohr und dem SV Wittlich seine Karriere ausklingen ließ. "Ja, der war 1988 Olympiasieger mit der Sowjetunion", weiß auch Knoroz.

n der aktuellen Mannschaft fehlen große Namen wie Schewtschenko - der bekannteste Spieler, auf den Jogis Jungs am Sonntag aufpassen müssen, ist Evgen Konoplyanka vom Europa-League-Sieger FC Sevilla. Die meisten Ukrainer spielen noch in ihrer heimischen Liga - und die hat kriegsbedingt einige Probleme: "Mein Verein Schachtjor Donezk muss seit dem Beginn des Krieges seine Heimspiele in Lviv im westlichen Teil des Landes austragen - das sind dann auch keine Heimspiele mehr", sagt Knoroz. Ljutyjs Heimatstadt Dnjepropetrowsk soll sogar ganz umbenannt werden - weil die Stadt am Dnjepr in ihrem Namen noch die Verbindung zum russischen Zaren Peter trägt.

Viele Dinge, die in ihrer Heimat passieren, kann Knoroz nicht nachvollziehen - was aber die Erwartungshaltung für die Nationalmannschaft bei der EM betrifft, ist sich das gespaltene Volk einig: Der Einzug ins Achtelfinale sollte möglich sein, zumindest als Gruppendritter. Vor vier Jahren, bei der Heim-EM, als Knoroz im Stadion mitfieberte, gab es ein enttäuschendes Vorrundenaus. Und danach stand der Fußball auch nicht mehr im Fokus.HintergrundBisherige EM-Teilnahmen: 2012 (als Co-Gastgeber) Größte Erfolge: WM-Viertelfinale 2006 Trainer: Mikhail Fomenko Stars: Evgen Konoplyanka (FC Sevilla), Anatoli Timoschtschuk Bilanz gegen Deutschland: 0 Siege, 3 Remis, 2 NiederlagenFußball-EM

Auf einen Wodka mit Jewgenija Knoroz: Die Ukraine hat andere Sorgen als die Europameisterschaft
Foto: (g_sport

Am 10. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich . Der TV stellt im Vorfeld die 24 Teilnehmernationen vor. Dazu treffen wir uns mit Landsleuten, die in der Region Trier verwurzelt sind. Bei einem landestypischen Essen oder Getränk plaudern wir über Land und Leute - und Fußball. Alle bisher erschienenen Serienteile gibt's hier in unserem Dossier online

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