„Abwehr gegen die Quote ist ein Zopf von Gestern“

Viviane Reding zur Rolle von Frauen in den Führungsetagen im Interview mit Macher, Menschen + Märkte. Das Interview führte Angelika Koch.

Deutschland wird sich nicht einig über die Frauenquote für Spitzenpositionen. Doch woanders in Europa macht die Gesellschaft längst gute Erfahrungen damit, zwischen 40 und 20 Prozent Frauenanteil gesetzlich vorzugeben: In Finnland, Norwegen, Polen und der Schweiz ist eine Quote für Aufsichtsräte, politische Ämter oder staatseigene Betriebe bereits etabliert. In Frankreich, Spanien und Italien ist sie beschlossene Sache, in Schweden, Belgien und den Niederlanden in der Diskussion.

In Europa gibt es noch immer ein starkes Gefälle im Hinblick darauf, wie Frauen in den Führungsetagen der Wirtschaft vertreten sind - welches sind aus Ihrer Sicht die Vorbilder und wo hinkt die Entwicklung hinterher?

Reding: Das stimmt, die Extreme schwanken zwischen Malta mit zwei Prozent Frauenanteil und Schweden und Finnland mit je 26 Prozent. Der EU- Durchschnitt liegt bei 12 Prozent, Deutschland ist mit knapp 13 Prozent also nur wenig darüber. Diese Zahlen meinen Frauen in Aufsichtsräten - eine recht enge Definition von Führungsverantwortung, aber nur so ist das statistisch gut greifbar und kontrollierbar. Da sehen wir, dass in den vergangenen sieben Jahren nur 0,5 Prozent Zuwachs an weiblich besetzten Aufsichtsräten kam - also fast nichts. Wir werden aber nicht noch fünfzig Jahre warten, bis sich das möglicherweise von selbst regelt. Wir brauchen die Kompetenzen der Frauen. 60 Prozent aller Hochschulabsolventen in der EU sind weiblich. Wir können es uns in Zeiten des globalen Wettbewerbs gar nicht länger leisten, die Hälfte unseres "Humankapitals" ungenutzt zu lassen. Es ist nicht nur ein Gebot der gesellschaftlichen Fairness, Frauen in Führungspositionen zu bringen, sondern es ist vor allem eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Frauen sind gut für die Wirtschaft.

Was sollte geschehen, damit Frauen besser gestellt werden?

Reding: Die Abwehr gegen Quotenregelungen ist ein Zopf von gestern. Den börsennotierten Unternehmen ist längst klar, dass es nicht weitergeht wie bisher. Wenn Deutschland Probleme mit der Umsetzung hat, wird die EU helfen. Wir planen zunächst den Weg der freiwilligen Selbstverpflichtungen, die von den Unternehmen unterzeichnet werden. Gibt es nach einem Jahr keine messbaren Fortschritte, werden gesetzgeberische Maßnahmen greifen. Mein Ziel: Bis 2015 sollten 30 Prozent der Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen in der EU Frauen sein, bis 2020 40 Prozent. Wir machen also Nägel mit Köpfen, um den Fortschritt zu initiieren. Die Quote ist dabei kein Selbstzweck, sondern lediglich das Vehikel.

Aber sogar viele Frauen wollen keine Quote. Studien und Umfragen belegen, dass sich darüber hinaus viele Frauen noch immer schwer tun, selbstbewusst genug aufzutreten oder aber die für eine Karriere notwendigen Nachteile in Kauf zu nehmen. Wie kann dieser Widerspruch gelöst werden?

Reding: Es geht natürlich nicht darum, Frauen in die Führungsetagen hinein zu zwingen. Aber umgekehrt darf auch keine daran gehindert werden, und das ist bislang noch manchmal der Fall. Zudem ist es nicht Sinn der Sache, dass Frauen männliche Karrierewege imitieren. Vielmehr werden ihre besonderen und anderen Kompetenzen benötigt, ihre Art der Kreativität, Präzision und Innovationskraft. Sie sind beispielsweise hervorragend ausgebildet für Controlling und Auditing. Sie sind auch in der Regel vorsichtiger, was dazu führt, dass die Unternehmen mit Frauen in den Führungsriegen weniger Fehler machen. Es ist messbar, dass sich der Einsatz von Frauen in Top-Positionen wirtschaftlich lohnt. Frauen treffen 80 Prozent aller Konsum-Entscheidungen. Das Verständnis dafür bringt Unternehmen voran. Fakt ist: Wir brauchen natürlich vor allem gute Führungskräfte, aber die gibt es unter den Frauen mehr als genug. Was oft noch fehlt, das ist Selbstbewusstsein durch gute weibliche Vorbilder. Aber da tut sich viel, vor allem in den Medien. Sehen Sie sich nur den Trierischen Volksfreund an: eine Geschäftsführerin, eine Chefredakteurin, eine Personalleiterin. Das funktioniert doch wunderbar.

Gerade Medien wie das Privatfernsehen vollführen jedoch eine regelrechte Rückwärtsentwicklung, wenn man sich die Castingshows ansieht - die Mädchen wollen vor allem sexy sein.

Reding: So einseitig stimmt das nicht: Erstens sind diese Shows eine mediale Mode, die auch wieder vorbeigehen wird. Zweitens ist die Jugend längst wieder politisch aktiver und interessierter - was auch höchste Zeit wurde, denn Jungen wie Mädchen müssen sich um das Allgemeinwohl kümmern. Schließlich ist es ihre Zukunft, um die es geht. Wir haben das europäische Jahr der Freiwilligen, und das ist auch ein großes Thema für die Jugend. Aber eines gilt vor allem: Führung macht sexy - das gilt auch für Frauen. Die Frauen an der Spitze von Unternehmen oder als Meinungsführerinnen in den Medien sind nicht nur stark und intelligent, sondern auch schön. Denken Sie an die kompetenten Nachrichtensprecherinnen oder Journalistinnen wie Anne Will, Maybrit Illner oder Sandra Maischberger.

Hat sich durch diese Frauen in den Medien auch die Berichterstattung verändert?

Reding: Ja, auf jeden Fall. Sie packen mit ihrer weiblichen Sensibilität soziale und politische Themen an, die über das reine Tagesgeschäft hinaus gehen. Und sie haben einen anderen Blick auf Konfliktherde. Wenn etwa Antonia Rados für das Privatfernsehen aus Kriegsgebieten berichtet, bringt sie diese Sicht mit ein. Das wäre früher unvorstellbar gewesen. Sie vermittelt harte Fakten ebenso wie die Hintergründe. Solche Vorbilder brauchen wir - auch in der Wirtschaft.

In Luxemburg gibt es weibliche Führungszirkel und somit Rollenvorbilder für junge Frauen, die Karriere machen können und wollen. In der Region Trier fehlt so etwas. Würde da mehr Frauenpower von deutscher Seite auch ökonomisch mehr bewegen?

Reding: Ich beobachte, dass sich weibliche Führungsnetzwerke zunächst vor etwa fünf Jahren bildeten, in Davos oder in Deauville. Mittlerweile passiert es fast überall. Die Frauen unterstützen einander und fördern junge weibliche Talente. Wir brauchen doch das Rad nicht neu zu erfinden, um so etwas auch in unserer Großregion zu fördern. Der Quattropole-Verbund aus Luxemburg, Trier, Saarbrücken und Metz kann als Plattform dienen, um solch ein Netzwerk von Frauen in Führungspositionen aufzubauen. Ich wäre auf jeden Fall mit dabei, wenn es startet.

Zur Person

Viviane Reding wurde 1951 in Esch-sur-Alzette (Luxemburg) geboren. Sie studierte Anthropologie an der Universität Sorbonne in Paris und arbeitete bis 1999 als Journalistin für die Tageszeitung Luxemburger Wort. Reding ist Mitglied der Christlich-Sozialen Volkspartei und seit dem vergangenen Jahr EU- Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Zuvor engagierte sie sich als EU-Kommissarin für Telekommunikation und Medien (2004 bis 2010) unter anderem für die Herabsetzung der Roaming- Gebühren für Mobilfunknetze. Als EU-Kommissarin für Bildung, Kultur, Jugend und Sport (1999 bis 2004) reformierte sie die Fußball-Transferregeln und brachte das Studentenaustauschprogramm Erasmus Mundus auf den Weg.

Studie

Die meisten Chefinnen in Deutschland arbeiten in eher kleinen Unternehmen. Das ergab eine Erhebung der Hamburger Wirtschaftsauskunftei Bürgel. Gerade ein Fünftel aller Posten auf Entscheider- und Geschäftsführerebene in deutschen Unternehmen seien von Frauen besetzt. Auch die Zahl der Geschäftsführerinnen und Gesellschafterinnen ist mit 17 Prozent deutlich unter dem der männlichen Kollegen.

Ist die Firma klein, gibt es mehr Frauen in Chefsesseln. Bei weniger als zehn Mitarbeitern fanden sich laut Analyse 22,1 Prozent Frauen auf Chefposten, während es bei einer großen Zahl ab 500 Mitarbeitern nur 8,3 Prozent waren.

Die meisten Frauen an der Spitze waren mit 23,3 Prozent in Firmen in Berlin zu finden, gefolgt vom Saarland mit einem Anteil von 22 Prozent. Im Mittelfeld lagen die Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Bayern. Der niedrigste Anteil der weiblichen Chefinnen war in Bremen mit 17,7 Prozent.
Für die Erhebung hat die Hamburger Wirtschaftsauskunftei nach eigenen Angaben mehr als ein Million Firmen analysiert. Darunter waren sowohl kleine und mittelständische als auch Dax-notierte Unternehmen.

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