Im Herzen Europas und doch am Text: Angelika Koch Rande

Große Verkehrsprojekte wie Brücken oder Bahnhöfe werden in ganz Deutschland immer heftiger diskutiert. Die Bürger wollen Mobilität, aber anscheinend nicht mehr um jeden Preis. Welche Probleme und welche Chancen bietet der Ist-Zustand für Unter nehmen und Berufstätige?

Verkehr in der Region Trier ist eine Welt der Extreme: Fast immer freie Fahrt auf der A 60, die Autobauer deswegen gern für Testfahrten von sogenannten Erlkönigen, den Prototypen neuer Autos, benutzen. Auch die A 1 und die Land- und Kreisstraßen der Region sind - verglichen mit dichter besiedelten Landstrichen - in der Regel eine Illustration des Mottos "freie Fahrt für freie Bürger". Im Gegensatz dazu ist Trier laut Verkehrsinformationsdienst Inrix sogar eine der stauträchtigsten Städte Europas und unrühmlicher Spitzenreiter in Deutschland im Hinblick auf die Zeitverzögerungen, die für Autofahrer durch Staus entstehen. Besonders stark belastet ist die von Luxemburg-Pendlern genutzte A 64 in Richtung Trier bis zum Anschluss an die Bundesstraße B 52, vor allem im freitäglichen Feierabendverkehr.
Stadtentwickler: Die Infra struktur ist top

Die wirtschaftliche Entwicklung der Region ist nicht zu trennen von der Frage, wie dicht das Netz an Verkehrswegen ist: Straßen, aber auch Bahnlinien, Schifffahrtswege oder Flughäfen. "Wir haben hier eine sehr gute Infrastruktur", sagt Johannes Weinand vom Amt für Stadtentwicklung und Statistik bei der Stadt Trier. Er ist zugleich zuständig für die vom rheinland-pfälzischen Verkehrsministerium ausgewiesene Logistikregion Trier-Luxemburg. Ein Wortungetüm benennt, warum er die Verkehrsinfrastruktur der grenzüberschreitenden Großregion für so gut hält: multimodale West-Ost-Transversale Trimodal. Vom Rangierbahnhof in Bettembourg-Dudelange über den Flughafen Findel und den Hafen Mertert in Luxemburg gibt es fast durchgehende Verbindungen bis Mainz, Koblenz und zum Flughafen Frankfurt-Hahn. Mit zwei bis drei parallelen Modalen, wie in der Fachsprache die Beförderung via Straße, Bahn, Schiff oder Flugzeug genannt wird. Mittelpunkt sind der Hafen Trier und das Güter verkehrszentrum (siehe Grafik Seite 8)

Allerdings sei eine Infrastruktur alleine nicht unbedingt ausschlaggebend dafür, ob mehr Waren umweltschonender mit Bahn und Schiffen transportiert werden und ob die Straßen vom LKW-Verkehr mehr entlastet werden können. "Bei Transporten unter 300 Kilometern werden LKW auf jeden Fall die Hauptverkehrsträger bleiben, weil in unserer Region die Firmen so angesiedelt sind, dass sie nicht anders erreichbar sind. Anders sieht es bei größeren Distanzen aus, da macht es auch ökonomisch Sinn, die Transporte so zu bündeln, dass Schiffe und Bahnen genutzt werden."

Zudem müssten diese Modale so perfekt aufeinander und auf die Zulieferung mit LKW abgestimmt sein, dass sie den Unternehmen eine Kosten- und Zeitersparnis bieten. "Da liegt faktisch ein viel größeres Problem als in der Dichte des Netzes von Verkehrswegen." Die Region habe beinahe schon zu viel Verkehrsinfrastruktur für die Gütermengen, die von den kleinen und mittelständischen Betrieben hin- und hertransportiert werden. Beim Personenverkehr sehe es völlig anders aus. "Da fehlt ein echtes Mobilitätsmanagement, das es erlauben würde, etwa den Berufsverkehr zu bündeln. Regionalbahnen und Busse müssen ausgebaut werden", ist der Stadtentwickler überzeugt.
Wissenschaft: Demografie entlastet Straßen

Heiner Monheim, Professor für Angewandte Geographie, Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier, gilt als ausgewiesener Verkehrsexperte, der die Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte durchaus kritisch analysiert. Er plädiert seit Jahren dafür, nicht immer nur den Straßenverkehr - und hier vor allem den automobilen Individualverkehr - im Blick zu haben, wenn es um Infrastrukturplanungen geht. "Die Belastungszahlen des Verkehrsberichts des Bundesverkehrsministeriums lassen zu dem Ergebnis kommen, dass Autobahnen und Bundesstraßen in unserer Region alle keine dramatischen Spitzenwerte haben. Zurzeit gibt es eine Stagnation, teilweise auch schon Rückgänge der Querschnittsbelastungen.

Weitere Rückgänge sind durch den demografischen Wandel - eine alternde Ge sellschaft fährt seltener und weniger lang - und wirtschaftlichen Strukturwandel zu erwarten - eine effizienzorientierte Wirtschaft minimiert die Transportvolumina und optimiert die Logistik."

Angesichts generell weiter steigender Kraftstoffpreise und einem belegbaren Trend, dass der Anteil des Fuß- und Fahrradverkehrs in urbanen Zusammenhängen wieder steigt, sieht Monheim einen Wertewandel vor allem bei jungen Menschen. Die seien weniger auf das Auto fixiert, sondern ihr Verkehrsverhalten sei multimodal - auch mit verstärkter Nutzung der Bahn.
Expertenmeinung: Schiene hat Potenzial

"Die Zeit des großen Straßenverkehrswachstums ist vorbei", sagt Monheim. "Große Angebotsdefizite im regionalen Personenschienenverkehr müssen nun systematisch abgebaut werden. In unserer Region geht es dabei um neue Haltepunkte und Streckenreaktivierungen. Wo immer diese Strategie versucht wurde, war erstaunlicher Erfolg möglich." Auch die Potenziale der Schiene im Güterverkehr seien generell in dieser Region derzeit noch nicht wirklich ausgeschöpft. Das gelte vor allem für mittlere Distanzen, wo die Bahn ihre Kunden seit 30 Jahren "abgehängt" habe.

Wenig Grund zu Optimismus

"Innovative, regional angepasste Angebotskonzepte, die im Personenverkehr schon lange erfolgreich betrieben werden, können auch im Güterverkehr mehr Verlagerungs potenzial aktivieren, zumal wenn dann noch ausreichend in Logistik und Umschlagtechnik investiert wird", sagt er. Allerdings sieht der Professor wenig Grund zum Optimismus angesichts der Prioritäten bei der Deutschen Bahn: "Die wird ihren Fernverkehr neu aufbauen und sich noch stärker auf die Hauptkorridore konzentrieren." Die Region Trier zählt nicht dazu. Monheim bringt es auf den Punkt: "Hiergegen müsste die Region eigentlich Sturm laufen."

Praxiserfahrung: Straßenverkehr brummt

Dass die Bahn in der Region unter ihren Potenzialen bleibt und dass auch die aktuelle Dürreperiode auch der Rheinschifffahrt zu schaffen macht, ist nicht für alle ein Nachteil. Die Spediteure profitieren von solchen Bedingungen. "Wir sind zurzeit komplett ausgebucht", schildert Hans Ludwig, Geschäftsführer der Ludwig Speditions- und Handelsgesellschaft mbH mit Sitz in Dreis-Brück (Landkreis Vulkaneifel), die Situation. "Solche saisonalen Spitzen führen dazu, dass deutlich mehr Güter per LKW transportiert werden."

Das Ladevolumen, das seine Branche auf den Weg bringt, sei derzeit enorm. "In den Krisenjahren wurden bis zu 60 000 LKW vom Markt genommen, die fehlen jetzt." Ludwig ist mit 40 LKW ausgestattet und fährt eine breite Palette von Produkten wie Elektronik, Stahl, Konsumgüter für Supermärkte oder Getränke durch die EU, vor allem jedoch innerhalb Deutschlands und in der Schweiz. Rund 1000 Tonnen täglich befördert das Unternehmen täglich über die Straßen.

Der Standort in der Eifel sei gut, betont Ludwig, wegen der zentralen Lage. Da vor Ort jedoch industrielle Schwerpunkte fehlen, mangele es an Rückfrachten - der Weg zurück nach Dreis-Brück gestalte sich über viele Strecken als Leerfahrt. Die gravierendsten Herausforderungen für die Spedition verursache jedoch die Verkehrsinfrastruktur. "Dass die A 1 nicht nach Norden durchgebaut wird, ist ein echtes K.O.-Kriterium für die Region. Wirklich glatt läuft es für uns nur nach Süden."

Ludwig räumt ein, dass die Straßenknappheit, wie er die Infrastruktur bezeichnet, zu vergleichsweise weniger Staus führt als in den Ballungsräumen. Aber zufrieden mit dem Verkehrswegebestand ist er nicht. "Auch viele Fernstraßen sind marode. Das verursacht Kosten, die zwar nicht genau bezifferbar sind, aber spürbar: Der Verschleiß an den LKW nimmt zu, sie müssen langsamer fahren, was zu Verzögerungen führt, und selbst die Ladung kann leiden."
Flughafen: Luft verkehr boomt - vor allem für Fracht

Von einem regelrechten Frachtboom spricht Maria Horbert, Pressesprecherin des Flughafens Frankfurt-Hahn: "Da die Wirtschaft in Deutschland expandiert, können wir dreistellige Wachstumsraten bei der Fracht und einen Rekord im März dieses Jahres verzeichnen. Da hatten wir 109 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr."

Nicht die Zahl der Flugbewegungen sei aus sagekräftig, sondern die sogenannten Verkehrseinheiten: entweder ein Passagier oder 100 Kilo Fracht. Nehme man beide Bereiche zusammen, also Frachtflug und Passagierfliegerei, so komme der Hahn von Januar bis April dieses Jahres auf ein Gesamtwachstum von 17,6 Prozent. Horbert geht davon aus, dass sich das Mobilitätsverhalten nicht ändern wird und dass auch künftig immer mehr Menschen und Waren mit dem Flugzeug transportiert werden. "Aber es ist wichtig, dass wir eben beide Standbeine haben. Wenn das Passagieraufkommen nachlassen sollte, können wir das im Cargobereich wieder ausgleichen oder umgekehrt." Für weniger Fluggäste habe im vergangenen Jahr die Luftverkehrssteuer gesorgt: Nur noch knapp 3,5 Millionen Passagiere flogen 2010 vom Hahn, während es 2009 noch beinahe 3,8 Millionen waren. "Aber wir sind optimistisch, dass sich das wieder entspannen wird." Entspannt werde auch das Verhältnis zur neuen rot-grünen Landesregierung bleiben. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen habe gezeigt, dass der Hahn wertgeschätzt werde. Und die mögliche Konkurrenz durch einen Verkehrsflughafen in Bitburg, den der luxemburgische Investor Frank Lamparski plant, sorgt offenbar ebenfalls derzeit nicht für Unruhe: "Da kein Konzept sichtbar ist, können wir dazu nichts sagen."
Verkehr im Zeichen der Nachhaltigkeit

Die seit 18. Mai amtierende rot-grüne Landesregierung spricht von einer sozialökologischen Verkehrspolitik, die "nachhaltige Mobilität sichert und den öffentlichen Verkehr stärkt". Dem Erhalt des Straßennetzes komme ein größeres Gewicht zu als dem Neubau, auch der Personennahverkehr auf der Schiene müsse ausgeweitet werden. "In der Region Trier soll die Qualität des Schienennetzes zwischen Igel und der Landesgrenze durch den geplanten zweigleisigen Ausbau verbessert werden. Auch der Ausbau einer Weichenverbindung bei Konz wird zu einer Vermeidung von Verspätungen und besserer betrieblicher Qualität beitragen", ist Roger Lewentz, Minister für Infrastruktur in Rheinland-Pfalz, überzeugt. "Untersucht wird derzeit, ob die sogenannte Weststrecke Trier für den Schienenpersonennahverkehr wieder reaktiviert werden kann."

Ein wichtiges Ziel sei die Verlagerung von mehr Gütern auf die Schiene und das Schiff. Dazu setze sich das Land für einen möglichst schnellen Ausbau der noch fehlenden Moselschleusen ein. "Der Hafen Trier soll durch eine Verlängerung der Spundwand für neue logistische Aufgaben ausgebaut werden." Eine bessere Erreichbarkeit der Großregion sieht der Minister durch den nach Protesten des grünen Koalitionspartners nun doch weitergeführten Bau des Hochmoselübergangs gegeben. Zugleich werde auch "zur weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit" die B 51 zwischen Bitburg und Trier ausgebaut. Flexible Instrumente wie Rufbusse, Sammeltaxen oder Bürgerbusse sollen in der ländlichen Region künftig für die Sicherung von Mobilität sorgen. Es werde vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ein nachhaltiges Verkehrs konzept gemeinsam mit der Stadt Trier und der Region Trier-Luxemburg geben, will Lewentz eine aus Luxemburg schon lang gehegte Forderung aufgreifen.

Der Transportminister des Großherzogtums, Claude Wiseler, war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Die Bahn macht mobil - zumindest im Plan

Ob die neuen ministeriellen Ansagen bei der Bahn Realität werden, ist derzeit nicht wirklich zu erfahren. Auf die Frage, wie die künftige Anbindung der Region Trier an den Fernverkehr aussehe, antwortet der für Rheinland-Pfalz zuständige Bahn-Pressesprecher Torsten A. Sälinger: "Die DB ist in Gesprächen mit den Aufgabenträgern. Wie jedes Jahr fallen Entscheidungen den neuen Fahrplan betreffend erst im Spätsommer."

Exakte Zahlen zum Passagieraufkommen im Personennahverkehr und im Fernverkehr von Trier nach Luxemburg, Köln und Frankfurt, die Grundlage für eine Planung sein könnten, sind jedenfalls nicht zu bekommen. Sondern nur allgemeine, das gesamte Bundesland betreffende: "Täglich rollen rund 1200 Personenzüge und S-Bahnen der Deutschen Bahn durch Rheinland-Pfalz. Im Nahverkehr nutzen durchschnittlich rund 375 00 Menschen pro Tag die Busse und Bahnen der DB im Rheinland-Pfalz-Takt. Im Fernverkehr sind jährlich 3,2 Millionen Reisende in modernen ICE-, IC- und EC-Zügen unterwegs."
Spielraum für Meinungen

Daten zum Güterverkehrsaufkommen sind gleichfalls nicht auf die Region Trier spezifiziert: "Im Güterverkehr der Deutschen Bahn - es gibt aber noch andere Transporteure - beträgt das jährliche Transportvolumen in Rheinland-Pfalz rund sieben Millionen Tonnen", schreibt Sälinger. Das Thema Schienenverkehr dürfte angesichts von Zahlen, die nichts über die besonderen Passagier- und Frachtaufkommen im Grenzgebiet Trier-Luxemburg aussagen, daher ein Diskussionsdauerbrenner mit viel Spielraum für Meinungen bleiben.

BINNENHäFEN IN ZAHLEN

Die rheinland-pfälzischen Binnenhäfen haben zu Beginn des Jahres 2010 mehr Güter umgeschlagen als im Jahr zuvor. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes meldeten die Schiffs- beziehungsweise Frachtführer für die ersten drei Quartale 2010 einen Güterumschlag von fast 18,7 Millionen Tonnen, gut 1,8 Millionen Tonnen (10,8 Prozent) mehr als im entsprechenden Vorjahreszeit raum. Das Vorkrisenniveau wurde damit jedoch nicht erreicht (2008: 19,5 Millionen Tonnen). Ludwigshafen als größter Binnenhafen des Landes wies im Zeitraum Januar bis September ein Umschlagplus von 22,6 Prozent auf. Fast ein Drittel des rheinland-pfäl zischen Güterumschlags findet im Hafen Ludwigshafen statt. Um mehr als 20 Prozent stiegen die Umschlagsmengen auch in den Häfen Andernach, Bendorf und Wörth. Im zweitgröß ten Hafen Mainz (Weisenau) erhöhte sich der Güterumschlag um 7,5 Prozent. Der Trierer Hafen verzeichnete ein Um schlagplus von 7,7 Prozent. Quelle: Statistisches Landesamt

EXTRA

Der Flughafen Hahn hat im vergangenen Jahr 3 493 629 Passagiere befördert. Das waren weniger als im Vorjahr (2009: 3 793 958). Bei der reinen Luftfracht ist die Entwicklung umgekehrt: 2010 wurden 228 547 Tonnen mehr bewegt als 2009 (176 664). Auch die Zahl der Flüge insgesamt ist zurückgegangen von 38 970 im Jahr 2009 auf 37 081 (2010). Quelle: Flughafen Hahn

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