Vom Täter zum Opfer?

Die Bilder und Aussagen, die nach der Festnahme von Dominique Strauss-Kahn um die Welt gingen und vor allem in Europa starke Zweifel an einem fairen Umgang mit dem Verdächtigen weckten, müssen heute wie blanker Hohn erscheinen. Vor Fernsehkameras unrasiert hin- und herparadierend wie eine Trophäe, ließen die Ermittler in New York an einer Schuld des Franzosen damals keine Zweifel.

Die Aussagen des Zimmermädchens seien extrem glaubwürdig, hieß es schon einen Tag nach dem Arrest des prominenten Politikers.
Zu einer sorgfältigen Prüfung der Fakten und auch der Lebensumstände und Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers vor einer solchen Vorverurteilung verspürte man damals im Wohlgefühl, einen ganz dicken Fisch an der Angel zu haben, wohl keine besondere Lust. Nach der sensationellen Freilassung von Strauss-Kahn ohne Kaution spricht nun vieles dafür, dass hier eine Figur der Zeitgeschichte unter grober Verletzung von Sorgfaltspflichten von der Staatsanwaltschaft überhastet zum Täter erklärt und damit - auch durch die folgende gnadenlose öffentliche Bloßstellung - zum eigentlichen Opfer gemacht wurde.
Während dem Zimmermädchen bis zuletzt maximaler Persönlichkeitsschutz zukam, hatte der angebliche Verbrecher - wie im Fall Kachelmann - diese Vergünstigung nicht, obwohl sich wie so oft bei mutmaßlichen Sexualdelikten am Ende alles auf das Prinzip "Aussage gegen Aussage" reduzierte.
Dass die Ermittler nun in der Lage waren, ihre krassen Fehleinschätzungen zur Seriosität der Frau zu korrigieren, ist einer der wenigen Lichtblicke in diesem Skandal, der viele Verlierer kennt - vor allem Strauss-Kahn, dessen IWF-Chefjob in dieser Woche bereits neu vergeben wurde.
Welchen Einfluss die sensationelle Wende auf die Präsidentschaftschancen des Politikers hat, bleibt derzeit abzuwarten. Frankreichs traditionell - bei Fehltritten - tolerante Wähler könnten durchaus nach der nun absehbaren vollständigen Rehabilitierung von Strauss-Kahn vergessen, dass ein einvernehmlicher Seitensprung mit dem Zimmermächen der Ausgang allen Übels war.

nachrichten.red@volksfreund.de

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