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Bernhard Gies aus Trier meint: Lieber TV, hier schicke ich Ihnen einige Gedanken nach der Lektüre Ihres Artikels "Gemüthsergetzung" vom 11. Juli.

Während ich aufmerksam den TV lese, strebe ich innerlich sozusagen dem willkommenen Endziel entgegen: der Kultur-Seite, die man andernorts das Feuilleton nennt, und ich bin geradezu glücklich, wenn ich dort einen fundierten Beitrag finde wie zum Beispiel Ihre ausgezeichnete Kritik über das Konzert mit Bachs Goldberg-Variationen, dargeboten durch Josef Still auf dem Cembalo in der Welschnonnenkirche. Gratulation an Ihren Kritiker: Dieses Lehrstück der Kontrapunktik mit seinen vertrackten Fingersätzen fordert dem Cembalisten wie dem Zuhörer konzentriertes Durchhaltevermögen ab, und wenn es der Kritik gelingt, die enorme Leistung des Cembalisten sachgerecht darzustellen, ohne die wenigen Momente eines gelegentlich zu ahnenden Stolperns überhört zu haben, dies aber so zu formulieren, dass Sympathie und Achtung für den Künstler absolut die Oberhand behalten, dann nenne ich das eine Sternstunde guter Konzertkritik. Der TV ist seiner Aufgabe in hervorragender Art und Weise nachgekommen.

Leider lege ich den letzten Teil des TV oft nicht mit solchen Glücksgefühlen beiseite. Man gewinnt bei der Lektüre manchmal den Eindruck, dass die alles entscheidende Richtschnur die Quote ist. So mancher rümpft die Nase, wenn das Gespräch auf den TV kommt - und übersieht dabei immerhin eine durchweg gute bis sehr gute journalistische Aufbereitung des Zeitgeschehens. Warum ist das so? Fühlt er sich im Kultur-Teil alleingelassen, sieht seine musikalischen, literarischen, kunsthistorischen Interessen unterrepräsentiert? Diesen Frust nimmt er zum Anlass, den TV insgesamt zu verreißen. Sie haben, was Sie vielleicht gar nicht wissen, eine beachtliche Zahl von Abonnenten, die mit verbissenen Zähnen durchhalten, weil sie a) über das Lokalgeschehen informiert sein wollen und b) durch einen fundierten Beitrag wie die oben bezeichnete Konzertkritik oder etwa auch Ihre Opernkritiken immer wieder bei der Stange gehalten werden. Das aber passiert zu selten! Geben Sie der Kultur-Redaktion mehr Raum beziehungsweise richten Sie eine solche wieder ein. Kultur ist kein Beiwerk, sondern Essenz.

Lieber Herr Gies,

vielen Dank für Ihr Schreiben, das ich mit Interesse und Vergnügen gelesen habe. Ihre Kritik kann ich nachvollziehen. Und ich gestehe gern, dass ich die klassischen Werte des Bildungsbürgertums teile, dass ich die klassische Hochkultur preise, dass ich die klassische Kunst liebe, auf einer Glatze Locken zu drehen. Aber ich sage auch, dass es aus Sicht der TV-Redaktion gute Argumente gibt, für den Medienmarkt des Jahres 2009 eben nicht mehr (nur) das anzubieten, was als klassisches Feuilleton verehrt wird - oder belächelt.

Denken Sie sich die Zeitung als ein Orchester. Mit Dirigent und Inspizient, mit Violinen und Querflöten, mit Klarinetten und Trompeten. Ein vielstimmiger Klangkörper. Mal harmonisch, mal dissonant. Mal begeistern die Musiker mit ihren Darbietungen, mal treffen sie die Töne nicht und ernten Buh-Rufe. Mal spielen sie beschwingte Walzer, mal elitäre Zwölfton-Kompositionen. Mal in Dur, mal in Moll. Mal eingängige Schlager, mal, naja, seichte Volksmusik. Und manchmal haut einer auf die Pauke. Bumm! Täglich ein neues Konzert, täglich eine neue Partitur. Täglich anders.

Was ist Kultur? Der alte Goethe meinte, es dürften bei der Begriffs-Definition "weder die Kleidung noch die Ess- und Trinkgewohnheiten, weder die Geschichte noch die Philosophie, weder Künste noch die Wissenschaft, weder die Kinderspiele noch die Sprichwörter, weder das Klima noch die Landschaftsformen, weder die Wirtschaft noch die Literatur, weder das Politische noch das Private noch der Hinweis auf ‚Schäden durch Abholzung der Berge' fehlen". Alles ist erlaubt. Außer zu langweilen. (Fast) alles findet sich auf den Kultur-Seiten, im TV zuletzt etwa eine Geschichte über den Trierer Malerfürsten Reinhard Heß, ein Interview mit dem Rock-Sänger Campino, eine Besprechung des aktuellen Romans von Norbert Scheuer. Im Idealfall gelingt es, das Zeitgeschehen in seiner wundersamen Vielfalt zu beschreiben. In spannenden Betrachtungen, launisch, polemisch.

Natürlich spielt das, was Sie "Quote" nennen, eine Rolle. Nicht die einzige, aber eine wichtige. Man mag es bedauern oder nicht: Feuilletonisten, die es darauf anlegen, einen winzigen Kreis Eingeweihter mit schöngeistiger Hirnverzwirnung zu beglücken, haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen.

Wer eine moderne regionale Tageszeitung macht, muss sich entscheiden: Wie gelingt es, möglichst viele Leser zu erreichen? Die Antwort: mit lokaler Information, mit Themen, über die "man" in der Stadt, im Dorf, auf dem Fußballplatz, im Theater-Foyer spricht. Im Marketing-Deutsch nennt man das wohl "Alleinstellungs-Merkmal". Das kann niemand in der Region so gut wie der TV, damit ist der TV höchst erfolgreich.

Leitmotiv: das Lokale, die Kultur "vor Ort" inbegriffen. Oper, Schauspiel, Konzerte, Ausstellungen, Literatur und so weiter. Den Goethe'schen Kultur-Begriff zugrunde gelegt, macht das einen großen Teil der Zeitung aus. Täglich. Alles andere ist Zugabe.

Schönes Wochenende!

Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur

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