Leserbriefe Kartell des Schweigens

Zum Artikel „Ärzte machen weniger Behandlungsfehler“ (TV vom 21. März) schreibt Alfred Schmitt:

Nicht ohne Grund beschweren sich so viele Patienten. Jährlich 100 000 vermeidbare Medizinschäden mit 25 000 vermeidbaren Medizintoten, somit 70 Tote pro Tag durch „Kunstfehler“ – das wurde durch die „Aktion Patientensicherheit“ bestätigt, an der auch die Ärztekammer mitwirkt, die diese Zahlen jahrzehntelang bestritten hatte.

Jedes Jahr werden bei stark steigender Tendenz rund 30 000 Schadensfälle nach Fehlbehandlungen den ärztlichen Haftpflichtversicherungen zum Schadensausgleich gemeldet. Angesichts der Zahl von 100 000 Medizinschäden pro Jahr dürften die gemeldeten Fälle nur die Spitze des Eisberges sein, da ein Teil der Patienten von Ärztefehlern keine Kenntnis erlangt und Schäden als schicksalhaft hinnimmt und ein weiterer Teil der Patienten trotz Kenntnis von vornherein resigniert, da es für den einzelnen, auf sich allein gestellten Patienten schwierig ist, Ansprüche nach Behandlungsfehlern durchzusetzen.

Ausmaß und Häufigkeit von Behandlungsfehlern gehören zu den bestgehüteten Geheimnissen der Medizin. Die Einrichtung der Schlichtungsstellen war der Erfolg der Patientenschutzbewegung. Dieser hatte die ärztlichen Standesfunktionäre aufgeschreckt. Sie befürchteten amerikanische Verhältnisse mit steigenden Behandlungsfehler-Verfahren wie in den USA. Die Standesfunktionäre traten deshalb zusammen mit den Bürokraten der ärztlichen Berufshaftpflicht-Versicherungen die Flucht nach vorn an und richteten Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen ein mit dem Ziel, die Patientenschutzbewegung zu unterlaufen, zu schwächen und letztlich zu vernichten. Die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen werden nicht nur von den Ärztekammern, sondern auch, was die meisten Patienten nicht wissen, von den ärztlichen Berufshaftpflicht-Versicherungen und damit von den Gegnern der Patienten finanziert.

Die Inanspruchnahme der Schlichtungsstellen und Gutachter-Kommissionen ist für die Patienten extrem gefährlich. Eine der überwiegend negativen Entscheidungen ist fast regelmäßig das „Aus“ für die Ansprüche des Patienten, erschwert zumindest die Durchsetzung von Ansprüchen ungemein, weil nachfolgende medizinische Sachverständige nicht nur den Behandlungsfehler nachweisen, sondern auch dem vorhergehenden Gutachter der Schlichtungsstelle, nicht selten im Professorenrang, eine Falschbegutachtung vorwerfen müssen. Dazu sind die wenigsten Gutachter bereit.

Eine negative Entscheidung bestimmt zwar nicht zwingend das weitere Verfahren, stellt aber eine verheerende Ausgangslage für das weitere Vorgehen dar, da sich dann natürlich die Ärzte sofort auf diese Entscheidung berufen und den geschädigten Patienten als Querulanten hinstellen, der trotz der Belehrung durch eine angeblich kompetente und objektive Institution immer noch uneinsichtig auf seinen vermeintlichen Ansprüchen gegen den Arzt beharre. Da sich die Patienten ganz überwiegend eine negative Entscheidung einhandeln, wird auf diese Weise die überwiegende Mehrzahl berechtigter Patientenansprüche abgewiesen.

Die Schlichtungsstellen und Gutachter-Kommissionen der Ärztekammern entpuppen sich somit als Ärzteschutz-Stellen, von denen der Volksmund sagt, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Durch diese Verschwörung des Schweigens gewährleisten die Ärztefunktionäre, dass das Ausmaß der Medizinschäden sowie deren strukturelle Ursachen verschleiert werden und sich letztlich im Medizinbetrieb nichts ändert.

Alfred Schmitt, Tawern

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