Unternehmensfragen Wenn der Chef zu nett ist

Was passiert, wenn ein Chef so nett ist, dass er seinen Leuten alles durchgehen lässt? Dann macht er sich erstaunlich unbeliebt. Karriereberater Martin Wehrle, Autor des gerade erschienenen Buches „Den Netten beißen die Hunde“, beschreibt eine Meuterei.

 Wie ist das Verhältnis von Chef und Mitarbeiter?

Wie ist das Verhältnis von Chef und Mitarbeiter?

Foto: dpa-tmn/Britta Pedersen

„Es riecht nach Meuterei – meine Mitarbeiter wollen mich loswerden!“ Mit diesem dramatischen Satz beschrieb der Abteilungsleiter Stefan Deidinger (38) seine Situation. Aber was hatten seine Mitarbeiter gegen ihn? Vor mir saß ein Mann, der nicht gerade wie ein Tyrann wirkte: Lachfalten dominierten sein Gesicht. Seine Stimme klang sanft wie das Säuseln eines Sommerwinds. Und zweimal, als wir zur gleichen Zeit zu sprechen begannen, bat er um Verzeihung – und bestand darauf, dass ich meinen Satz vor ihm beendete.

Bis vor weniger Tagen hatte er geglaubt, er sei als Chef gut angesehen. Doch dann klopfte es an seiner Tür und drei Mitarbeiter drückten ihm die Verbal-Pistole gegen die Stirn: „Entweder Sie sprechen jetzt ein Machtwort – oder wir ziehen nicht mehr mit!“

Der Wortführer redete Klartext: „Wir haben die Schnauze voll, dass Sie nie Position beziehen. Wenn jemand morgens zu spät kommt – Sie sagen kein Wort. Wenn jemand eine schlampige Arbeit abliefert – Sie deuten Ihre Kritik nur an. Und Sie loben Arbeiten, die es nun wirklich nicht verdienen.“ Stefan Deidinger fiel aus allen Wolken. Er wusste, dass er vor allem positive Rückmeldungen gab und sich auf die Stärken seiner Leute konzentrierte. Aber nie wäre er auf die Idee gekommen, damit bei seinen eigenen Mitarbeitern anzuecken. Schließlich profitierten sie von seiner menschenfreundlichen Haltung. Dieses Argument hielt er den Protestlern entgegen, worauf der Wortführer meinte: „Warum soll ich noch pünktlich sein, wenn Sie anderen die Unpünktlichkeit durchgehen lassen? Warum soll ich alles aus mir herausholen, wenn Sie sogar Misslungenes loben? Und haben Sie mal überlegt, welche Folgen es hat, dass Sie Lydia Becker in der Probezeit nicht entlassen haben? Wir anderen arbeiten jetzt für sie mit.“

In diesem unverblümten Ton hagelte weitere Kritik auf Stefan Deidinger ein, zum Beispiel:

-       „Das Ansehen der Abteilung hat unter Ihrer laschen Führung gelitten. Die Nachbarabteilungen sind bei der Geschäftsleitung besser angesehen, deshalb bekommen die Kollegen dort mehr Gehalt.“

-      „Bei unseren Vorschlägen in den Teamrunden drücken Sie sich immer um eine Stellungnahme. Man weiß nie, ob Sie etwas gut oder weniger gut finden. Da macht es gar keine Freude, gute Ideen einzubringen.“

-       „Sie winken Urlaubsanträge durch und genehmigen Fortbildungen auch dann, wenn wir keine Kapazitäten dafür haben. Das müssen die restlichen Mitarbeiter dann ausbaden.“

Für welchen Chef würden Sie lieber arbeiten: für einen, der seinen Leuten alles durchgehen lässt – oder für einen, der klare Regeln gegenüber allen durchsetzt? Für einen, der gute Leistungen lobt und schlechte kritisiert – oder für einen, der sein Lob mit der Gießkanne verteilt?

Mitarbeiter leiden nicht nur unter zu strengen, sondern auch unter zu laschen Chefs. Ein allzu netter Chef ist wie ein Schiedsrichter, der kein Foulspiel pfeift. Dieses Verhalten stärkt die Regelbrecher und frustriert die Ehrlichen. Wer mit einer Verspätung von fünf Minuten durchkommt, taucht demnächst zehn Minuten zu spät auf, dann 20 Minuten und schließlich eine halbe Stunde. Wenn ein Chef aus Nettigkeit nicht durchgreift, tut er den Geschonten keinen Gefallen. Statt als Korrektiv zu wirken, bestätigt er die Irrläufer in ihrem Irrweg – mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten.

In der Beratung meinte Stefan Deidinger, er habe seine Mitarbeiter doch nur schonen wollen. Doch nach einem längeren Gespräch wurde ihm klar, wen er in Wirklichkeit schonen wollte: sich selbst. Offenbar fürchtete er sich davor, seine Mitarbeiter zu konfrontieren. Er hatte Angst, sich damit unbeliebt zu machen und als übertrieben strenger Chef zu gelten. In seiner Kindheit hatte er unter seinem strengen Vater gelitten. Doch bei seinem Versuch, Herrschsucht dieser Art zu vermeiden, hatte er übersteuert und war in der Beliebigkeit gelandet.

Erst nach mehreren Beratungen wuchs in ihm die Einsicht, dass eine klare Linie und menschliches Verhalten sich ideal ergänzen konnten. Er trommelte seine Mitarbeiter zusammen, griff den Vergleich mit dem Schiedsrichter auf und kündigte an, künftig bei Regelverstößen laut hörbar zu pfeifen. Seine Mitarbeiter waren froh, dass endlich verbindliche Spielregeln galten.

 Buch Werle

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Foto: TV/Werle
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Foto: TV

Dieser Artikel lehnt sich an Martin Wehrles gerade erschienenem Buch „Den Netten beißen die Hunde – Wie Sie sich Respekt verschaffen, Grenzen setzen und den verdienten Erfolg erlangen“ (Mosaik, 2021).

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