Bei den Liberalen läuft alles auf Philipp Rösler hinaus

Das große Stühlerücken ist vertagt - auf heute Mittag. Dann kommt in Berlin das FDP-Präsidium zu Beratungen mit den Landesvorsitzenden zusammen. Und dann wird es, so hat Generalsekretär Christian Lindner angekündigt, auch Namen von Kandidaten geben, die den scheidenden Parteichef Guido Westerwelle (49) beerben wollen.

Berlin. Noch einmal gab der Vorsitzende die Marschroute vor: Er rate, sagte Guido Westerwelle, einen weißen Abschiedsstrauß vor sich auf dem Tisch liegend, noch nicht sofort den Namen des neuen Vorsitzenden der FDP zu verkünden. Der dürfe nicht als Parteichef von seinen Gnaden erscheinen, sondern müsse "aus eigenem Recht und eigener Stärke" kandidieren.

Die acht Anwesenden, die gestern Morgen am Präsidiumstisch im Thomas-Dehler-Haus Platz genommen hatten, nickten zustimmend, zum Teil auch erleichtert. Für den scheidenden Vorsitzenden gab es salbungsvolle Abschiedsworte. Einstimmig fand man, dass Westerwelle als Außenminister auch künftig zum Führungsteam gehören solle.

Wahrscheinlich wird es nur einen Kandidaten für seine Nachfolge im Parteivorsitz geben, und zwar Philipp Rösler, 38, derzeit Landesvorsitzender in Niedersachen und gleichzeitig Gesundheitsminister. Lindner, der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Daniel Bahr und Westerwelle hatten sich am Sonntagnachmittag in Westerwelles Berliner Wohnung getroffen. "Da war Westerwelles persönliche Entscheidung schon gefallen", sagte Lindner. Rösler war aus seiner Heimatstadt Hannover telefonisch zugeschaltet. Festgelegt wurde der Fahrplan für die Nachfolgeregelung - und auch, dass Westerwelle auf den Titel Vizekanzler verzichten wird, falls der neue Parteivorsitzende im Kabinett vertreten ist. Wie Philipp Rösler.

Dass alles recht kompliziert ist, hat damit zu tun, dass bis zum Parteitag Mitte Mai in Rostock ein wesentlich größeres Personalpaket geschnürt werden muss und jede Position mit jeder zusammenhängt. Denn nicht nur Westerwelle verzichtet auf eine erneute Kandidatur, auch die stellvertretenden Vorsitzenden Cornelia Pieper, Hermann Otto Solms und Andreas Pinkwart scheiden aus. Auch das sei ein Grund, sagte Westerwelle gestern in der internen Runde, dass nicht mehr das alte Parteipräsidium die zentralen Nachfolgeentscheidungen treffe.

Und noch zwei weitere Positionen könnten zur Disposition stehen: zuallererst die von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Denn Rösler hat die Neigung, wird berichtet, zusammen mit dem Parteivorsitz auch Brüderles Job zu übernehmen, der besser zu seiner neuen Funktion als Vizekanzler passen würde. Brüderle aber will freiwillig nicht aus dem Wirtschaftsministerium weichen; sein Stuhl sei "nur blutig" zu haben, soll er erklärt haben. Das bedeutet, dass er sogar eine Kampfabstimmung gegen Rösler nicht scheuen würde, was diesen wiederum zurückzucken lässt.

Proporz spricht für Homburger



Außerdem fragt man sich in der FDP, wer denn statt Brüderle die Rolle des Wirtschaftsliberalen spielen soll. In diesem Zusammenhang wurde gestern allerdings mit Aufmerksamkeit registriert, dass der hessische Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn seine Kandidatur um einen Stellvertreterposten ankündigte. Das verbessert Brüderles Karten nicht gerade, denn der wirtschaftsnahe Flügel wäre mit Hahn repräsentiert.

Auf Vorschlag Westerwelles sollen heute Nachmittag Bundesvorstand und Bundestagsfraktion zusammenkommen. Dieses Gremium tagt sonst eigentlich nur, um über Kabinettsposten zu entscheiden - auch das ein schlechtes Zeichen für Brüderle. Nachfolger Röslers im Gesundheitsressort könnte sein Staatssekretär Daniel Bahr werden.

Dass zwischen Außen- und Wirtschaftsminister das Tischtuch zerschnitten ist, konnte man gestern zu Beginn der Präsidiumssitzung sehen. Steif standen beide vor den Kameras nebeneinander, ohne sich anzublicken. Brüderle war schon vorige Woche zu Ohren gekommen, dass Westerwelle nach den gescheiterten Landtagswahlen zunächst ihn opfern wollte, um seinen eigenen Kopf zu retten. Etwas sicherer als Brüderle sitzt im Moment Fraktionschefin Birgit Homburger im Sattel. Für sie spricht der regionale Proporz, also ihre Herkunft aus Baden-Württemberg. Denn Rösler kommt aus Niedersachsen, Lindner und Bahr sind Nordrhein-Westfalen. Neu soll die FDP-Führung zwar werden, aber nicht norddeutsch. Und auch kein "U-40"-Projekt, wie es unter Anspielung auf das Alter von Rösler, Lindner und Bahr heißt. Homburger wird nächsten Montag immerhin 46.

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STICHWORT VIZEKANZLER



Den sogenannten Vizekanzler im Bundeskabinett gibt es eigentlich gar nicht. Der offizielle Titel lautet Stellvertreter des Bundeskanzlers. Artikel 69, Paragraf 1 des Grundgesetzes bestimmt: "Der Bundeskanzler ernennt einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter." Vizekanzler kann also nur werden, wer ein Ministeramt hat. In Paragraf 8 der Geschäftsordnung der Bundesregierung heißt es zu den Aufgaben: "Ist der Bundeskanzler an der Wahrnehmung der Geschäfte allgemein verhindert, so vertritt ihn der gemäß Artikel 69 des Grundgesetzes zu seinem Stellvertreter ernannte Bundesminister in seinem gesamten Geschäftsbereich. Im Übrigen kann der Bundeskanzler den Umfang seiner Vertretung näher bestimmen." Im Gegensatz zu anderen Demokratien ist der Vizekanzlerposten in Deutschland kein Amt mit politischer Macht. Stirbt der Regierungschef, übernimmt der Stellvertreter nur für eine kurze Zeit dessen Aufgabe einschließlich der Richtlinienkompetenz. In den USA wird der Vizepräsident nach dem plötzlichen Tod des Präsidenten unverzüglich als neuer Staats- und Regierungschef vereidigt. dpa

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