Die Kurve gekratzt

LEIPZIG. 2004 was ein hartes Jahr für die Genossen. Die SPD kittet bei ihrer Klausur in Leipzig nun die alten Risse - und präsentiert sich mit neuem Selbstbewusstsein.

Leipzig hat für Gerhard Schröder eine besondere Bedeutung. Nicht nur, weil dort 1998 sein Krönungsparteitag stattfand, auf dem ihn die SPD zum Kanzlerkandidaten machte. Schon im vergangenen Jahr traf sich die Bundestagsfraktion dort zur Klausur - und damals stieß der Kanzler auf überaus verzweifelte, von den schlechten Umfragewerten und der Stimmung an der Basis gebeutelte Genossen. In Leipzig merkte er noch einmal deutlich, dass der Abgang aus dem Amt des Parteivorsitzenden zugunsten Franz Münteferings unumgänglich war. Diesmal ist nicht alles, aber vieles in Leipzig anders: Die Sozialdemokraten geben sich wieder selbstbewusst, jedoch nicht selbstzufrieden. Er hat's durchgestanden, die Kritik an der Reformagenda 2010, an Hartz IV, an seiner Person, all die Abgesänge auf seine Kanzlerschaft. Nun kann sich der Kanzler endlich wieder in seiner Lieblingsrolle präsentieren, als standfester Krisenmanager, der nicht gewackelt und nicht gewankt hat. Und der mal wieder durch seinen Umgang mit der Flutkatastrophe in Südostasien das richtige Gespür bewiesen hat. Noch ist aber nichts gewonnen, bis zur Bundestagswahl 2006 ist es noch elendig lang. Der Stimmungsumschwung ist dennoch deutlich zu spüren. Eine Klausur zum Wohlfühlen ist es, mit der die Zerrissenheit der Fraktion aus dem letzten Jahr gekittet werden soll. Dem dicksten Schlamassel sind die Genossen schließlich entronnen; der weitgehend reibungslose Start der Hartz-Reformen oder die erfolgreiche Einführung der Lkw-Maut haben Rückenwind gegeben. "Das Jahr ist ganz ordentlich angelaufen”, hört man beim Fraktionsabend mehrfach. Viele gehen inzwischen sogar von einem Sieg bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Februar aus, was ein erster Meilenstein auf dem Weg zur Bundestagswahl wäre. Skeptisch, aber dennoch optimistisch ist man, was den Ausgang des Urnengangs in Nordrhein-Westfalen im Mai angeht. Genüsslich und hoffnungsvoll blicken die Sozialdemokraten dabei vor allem auf den politischen Gegner: Während sich die Union im innerparteilichen Streit aufreibt, ist die Geschlossenheit der Sozialdemokraten endlich wieder groß. Wenn's gut läuft, ist die Selbstzufriedenheit nicht weit. Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering fordert daher am ersten Tag der Klausur die Abgeordneten auf, sich nicht "einlullen” zu lassen, der Kanzler erwartet gar weiteren Reformwillen. In Leipzig geht es der SPD-Führung vor allem darum, die alte Tante SPD weiter als Partei der Veränderungen zu präsentieren. Deshalb hat Müntefering 2005 auch zum "Jahr der Entschlossenheit” erklärt. In Wahrheit fehlen aber die Themen, wie in der Klausur deutlich wird. Zwar debattiert die Fraktion viel über Hartz, ein wenig über die Bildungspolitik, die alternde Gesellschaft und die europäische Einigung. Doch ein wirkliches Reformsignal geht von dem Treffen nicht aus. "Ein Teil ist beschlossen, ein Teil in der Umsetzung, ein Teil muss noch kommen”, sagt der Fraktionschef über die Reformen.

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