Gabriels Abschied von der Schröder-SPD

Berlin · Mit Einführung der Agenda 2010 habe die SPD Fehler gemacht. Sie habe den Wert der Arbeit infrage gestellt und sich von den Gewerkschaften entfernt. Das dürfe nicht wieder geschehen, sagte Parteichef Sigmar Gabriel beim Bundesparteitag - und erhielt Beifall.

Berlin. Sigmar Gabriel reckt den dicken Strauß aus roten Rosen und Gerbera in die Höhe und bedankt sich beim Publikum. Stolze 91,6 Prozent der Delegierten haben den Niedersachsen im SPD-Vorsitz bestätigt. Das ist zwar weniger als vor zwei Jahren, aber für Gabriels Umfeld noch ein sensationelles Resultat.
Auf dem Parteitag in Berlin fährt Gabriel nicht nur den Lohn dafür ein, dass er die SPD in ruhiges Fahrwasser gesteuert hat und Geschlossenheit bei den Genossen neuerdings keine leere Floskel mehr ist. Er redet sich auch in Herz und Seele der Delegierten - ursozialdemokratisch und kämpferisch.
Eineinhalb Stunden lang entwirft der 52-jährige Niedersachse das Bild einer SPD, die kaum noch etwas mit der Agenda 2010 und ihrem Schöpfer Gerhard Schröder verbindet. Die Partei habe "Fehler" gemacht, etwa als sie der Leiharbeit Tür und Tor öffnete, sagt Gabriel. "Nie wieder darf eine sozialdemokratische Partei den Wert der Arbeit infrage stellen. Und nie wieder dürfen wir uns so weit von den Gewerkschaften entfernen." Spätestens an dieser Stelle liegt Gabriel der Parteitag zu Füßen.

Wer einen Parteitag so in Verzückung bringen kann, der kann auch Kanzlerkandidat. Mag alle Welt da draußen Steinbrück favorisieren. Oder vielleicht auch Steinmeier. Mit Gabriel ist ebenfalls zu rechnen. Auch das ist die Botschaft dieses furiosen Auftritts. Passend dazu kursieren auf dem Parteitag Spekulationen, wonach Gabriel den linken Parteiflügel heimlich ermuntert haben soll, beim Abkassieren der Reichen noch draufzusatteln, um Ex-Finanzminister Steinbrück im Kandidatenrennen zu schwächen. Dafür gibt es viele Hinweise.

Gabriels hervorragender Tagesform ist es auch zu verdanken, dass Generalsekretärin Andrea Nahles bei ihrer Wiederwahl mit einem leidlichen Ergebnis davonkommt. In Gabriels Rede findet Nahles mehrfach positive Erwähnung. Als die 73,2 Prozent für sie aufleuchten, ist Gabriel der Erste, der ihr gratuliert. Ein Vorsitzender und eine Generalsekretärin zwei Jahre halbwegs unangefochten im Amt - das hat die SPD schon lange nicht mehr gehabt.
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SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sieht sich durch ihre Wiederwahl in ihrer Arbeit bestätigt. "Für einen Generalsekretär ist das ein sehr gutes Ergebnis", sagte die SPD-Politikerin im Interview mit der Rhein-Zeitung. Bedeckt hält sich die Generalsekretärin bei der Frage, wer die SPD als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 2013 führen wird. "Mein Eindruck ist, dass die Delegierten an dem K-Frage-Thema noch kein Interesse haben." RZExtra

Ende September zählte die SPD 494 621 Genossen, die CDU kam auf 495 192 Mitglieder. Die Differenz zwischen beiden Parteien betrug demnach nur noch knapp 600 Mitglieder. 2008 war die CDU an der SPD vorbeigezogen. In den 1970er Jahren hatte die SPD noch über eine Million Mitglieder. Mit Mitgliedschaften zur Probe und mehr Mitsprache sollen mehr junge Leute in die Partei gelockt werden. dpa

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