Gemeinwohl und gemeines Wohl

BITBURG. Dass die "Bitburger Gespräche" sich mit aktuellen rechtspolitischen Fragen beschäftigen, ist gute Tradition. Aber selten lagen sie so nah am tagespolitischen Puls der Deutschen wie mit ihrer Tagung über das sperrig klingende Thema "Eigentum - Ordnungsidee, Zustand und Entwicklungen".

Es ist gut drei Jahrzehnte her, dass man bei den "Bitburger Gesprächen" zum ersten Mal über das Thema "Eigentum" diskutierte. Die Republik erlebte bewegte Zeiten, und junge Feuerköpfe, darunter ein Juso-Funktionär namens Gerhard Schröder, forderten lautstark die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien.Die auf Einladung des damaligen Landes-Justizministers Otto Theisen zusammengekommene renommierte Juristen-Schar, revolutionären Anwandlungen traditionell abhold, stellte sich seinerzeit schützend vor das gefährdete Grundrecht.Der Versuch von links, unter Hinweis auf die in Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes postulierte Sozialbindung grundsätzlich in das Eigentumsrecht einzugreifen, war bekanntermaßen zum Scheitern verurteilt. Allenfalls das von liberal-konservativen wie rot-grünen Regierungen gleichermaßen gnadenlos betriebene Drehen an der Abgabenschraube schränkte die freie Verfügung über das Eigentum ein.Im Jahr 2004 hat sich das Bild gewandelt. Die Revoluzzer von einst reformieren als Regierende die Republik in Richtung Turbo-Kapitalimus. Langsam zwar, aber eindeutig in der Zurichtung auf die Bedürfnisse eines globalisierten Marktes. Und bei den Bitburger Gesprächen feiert das illuster besetzte Auditorium mit Professor Paul Kirchhof einen neuen Star, dessen oberste Maxime lautet, dass Eigentum und Verantwortung wieder näher zusammenrücken müssen.Nicht, dass Kirchhof und die versammelten Spitzen-Juristen das "Menschenrecht auf Eigentum" zur Disposition stellen würden, im Gegenteil: Dass die Möglichkeit, Eigentum zu schaffen, ein elementarer Bestandteil bürgerlicher Freiheit ist, steht hier außer Frage.Aber der ehemalige Verfassungsrichter zeichnet die Entwicklung vom einstigen "Sacheigentum" an Grund und Boden oder Produktionsmitteln zum heutigen "Geldeigentum" an Aktien oder Beteiligungen nach. Mit dem Wandel sei eine "Anonymisierung" einher gegangen, zu Lasten des "Verantwortungs-Eigentums". Der glänzende Rhetoriker Kirchhof ist um praktische Beispiele nicht verlegen. Dem klassischen Mittelständler, der einen eigenen, familiengeprägten Betrieb führt, stellt er die Aktiengesellschaft gegenüber, bei der das Management dominiert und die Eigentümer via "feindliche Übernahme" schon mal ausgetauscht werden. So habe das Eigentum oft seine "gestaltende Funktion" verloren. Der Staat aber prämiere Anleger, "die ihr Geld in Projekte stecken, die sie nicht interessieren, an Orten, die sie nie zu Gesicht bekommen, gemeinsam mit anderen, die sie nicht kennen, und das alles, um Verluste zu machen", sagt Kirchhof - bei solchen Schmankerln jauchzen selbst die nüchternen Juristen im Konferenzsaal des Hotels am Stausee schon mal auf.Paul Kirchof als Bundespräsident?

Dabei laden die Prognosen des Heidelberger Professors keineswegs zur Fröhlichkeit ein. Vor allem für diejenigen, deren Eigentum in Ansprüchen gegenüber Renten- und Sozialversicherung besteht, sieht er dunkle Wolken am Horizont. Der "Generationenvertrag" zwischen Jüngeren und Älteren sei nur tragfähig, so lange es einen Juniorpartner mit ausreichender Leistungsfähigkeit gebe.Aber auch die explodierenden Staatsschulden bedrohten das Eigentum. Ohne grundsätzliche Veränderungen bliebe irgendwann nur noch die faktische Enteignung, um den Staatshaushalt zu sanieren, glaubt Kirchhof.Seine Veränderungsvorschläge hat er längst öffentlich unterbreitet: Einen Steuersatz von 25 Prozent für alle "Besserverdienenden", weit weniger als der jetzige Höchstsatz, aber dafür auch tatsächlich von jedem zu entrichten - ohne Schlupflöcher und indirekte staatliche Lenkungsmechanismen. So ließe sich auch der Neid bekämpfen, meint der Rechtspolitiker: "Wenn die Leute wissen, dass, wer eine Millionen verdient, wirklich 250 000 Euro in die Kasse der Allgemeinheit abgeben muss, werden sie froh sein, wenn er im nächsten Jahr zwei Millionen verdient".Auch da erntet Kirchhof wenig Widerspruch bei den fast 200 Konferenzteilnehmern. In der Pause wird an manchen Tischen sogar über die Frage nachgedacht, ob der Jurist nicht ein idealer Bundespräsident sein könnte. Nur einmal ist das Geraune unüberhörbar: Als Kirchhof auf die Frage, was man gegen den Kindermangel in Deutschland tun könne, eine Arbeitsplatzgarantie für alle erziehenden Eltern über einen von ihnen selbst zu bestimmenden Zeitraum vorschlägt.Da hat er die Rechnung wohl ohne die Eigentümer der Produktionsmittel und ihre Unternehmens-Chefs gemacht.Ganz so weit geht es denn doch nicht mit dem Eigentum und der Verantwortung fürs Gemeinwohl.

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