Reiseversicherungen wurden zum Freibrief

BERLIN. Ungeachtet des Drucks der Union wird Außenminister Joschka Fischer (Grüne) erst in einigen Monaten im Untersuchungsausschuss zum massenhaften Visa-Missbrauch an Botschaften in Osteuropa aussagen. SPD und Grüne lehnten mit ihrer Mehrheit einen Oppositionsantrag zur VernehmungFischersam 11. April ab.

Die 13 Bundestagsabgeordneten im Untersuchungsausschuss zur Klärung der Visa-Affäre sitzen zwar schon seit einigen Wochen regelmäßig beisammen. Gestern taten sie das aber erstmals öffentlich, was einen wahren Medien-Ansturm auslöste. Dabei waren die wartenden Journalisten anfangs vor die Wahl gestellt, an den Lippen der Fraktions-Obmänner zu hängen oder sich einen Platz auf der Galerie des Sitzungsraums im Berliner Paul-Löbe-Haus zu sichern. Zunächst hatten die Ausschussmitglieder hinter verschlossenen Türen über eine allseits interessierende Frage gestritten: Wann soll Joschka Fischer vor dem Gremium Rede und Antwort stehen? Dank rot-grüner Mehrheit war am Ende klar, dass der bedrängte Außenminister eher später zum Zuge kommt. Die Union wollte die vermeintliche Schlüsselfigur beim angeblich massenhaften Missbrauch von Reisedokumenten bereits in der zweiten Aprilwoche einbestellen, die FDP am liebsten sofort. Das sei doch nur "Kasperle-Theater", empörte sich der Grünen-Obmann Jerzy Montag anschließend vor den Mikrofonen. "Er wird zeitnah vernommen, sobald die Akten gelesen werden." Das kann sich nach Einschätzung seines SPD-Kollegen Olaf Scholz bis zur Sommerpause hinziehen, zumal der Ausschuss frühestens Ende Februar mit einer ersten Materiallieferung aus dem Außenamt rechnen darf. Damit wäre auch der Plan der Union durchkreuzt, den Außenminister möglichst im zeitlichen Umfeld der nordrhein-westfälischen Landtagswahlen am 22. Mai vorzuführen. CDU-Obmann Eckart von Klaeden klagte dann auch über die Verzögerungen und warf Fischer eine "Doppelstrategie" vor: Der Außenamtschef wolle erklärtermaßen schnell aussagen, werde aber von der rot-grünen Koalition blockiert. Es sollte nicht die einzige Kontroverse im Ausschuss bleiben. Zur ersten öffentlichen Anhörung waren drei Sachverständige aus der Justiz und dem Ministerialapparat geladen, die zunächst in staubtrockenem Amtsdeutsch das nationale und europäische Recht der Visa-Erteilung beleuchteten. Der Ausschussvorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) stöhnte über die Komplexität der Materie: "Nach all dem wird mir so dumm, als ginge ein Mühlrad im Kopfe herum." Klar wurde immerhin, dass der viel zitierte Volmer-Erlass vom März 2000 ("Im Zweifel für die Reisefreiheit") bei der unrechtmäßigen Visa-Vergabe eher eine untergeordnete Rolle spielt. Dafür rückte ein Erlass in den Mittelpunkt, den das Auswärtige Amt bereits im Oktober 1999 allen Botschaften in den GUS-Staaten zukommen ließ. Danach wurden die schon unter der schwarz-gelben Regierung Helmut Kohl existierenden Reiseschutzversicherungen des ADAC (carnet de touriste) praktisch zu einem Freibrief für die Visa-Erlangung. Bis dahin deckten diese Versicherungen nur eventuelle Kranken- und Rückführungskostendes Antragsstellers ab. Erforderliche Nachweise über den Reisezweck und die Rückkehrbereitschaft brauchten die Botschaften mit dem Erlass praktisch nicht mehr zu prüfen.

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