"Wer eine Mini-Rente hat, ist noch nicht arm"

Berlin · Wegen steigender Löhne könnten die Rentner in Deutschland ab dem kommenden Jahr über mehr Einnahmen verfügen. Voraussetzung ist allerdings, dass die neue Koalition in Berlin dies nicht noch unterbindet. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, warnt davor, zusätzliche Leistungen wie die Ausweitung der Mütterrente über die Rentenversicherung zu bezahlen.

 Armut hat viele Gesichter. Immer mehr Menschen suchen im Müll nach Pfandflaschen, um damit ihre geringen Einkünfte aufzubessern. Foto: dpa

Armut hat viele Gesichter. Immer mehr Menschen suchen im Müll nach Pfandflaschen, um damit ihre geringen Einkünfte aufzubessern. Foto: dpa

Berlin. Nach Einschätzung von Herbert Rische, Präsident der Deutschen Rentenversicherung, gibt es vier Bevölkerungsgruppen, die von Altersarmut bedroht sind. Wer betroffen ist und was sich gegen Armut im Alter tun lässt, erläuterte er im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter. Herr Rische, nach einer aktuellen Umfrage würden sich 56 Prozent der Bundesbürger für eine sichere Rente entscheiden, wenn sie einen Wunsch frei hätten. Zeugt das nicht auch von einem erschütterten Vertrauen in unser Rentensystem?Herbert Rische: Es gibt auch Untersuchungen, wonach 75 Prozent der Deutschen sagen, die sicherste und beste Form der Altersvorsorge ist die gesetzliche Rentenversicherung. Das zeigt, dass solche Umfragen relativ wenig Aussagekraft haben. Jeder zweite Rentner bekommt weniger als 700 Euro Rente, also weniger als die Grundsicherung. Das rührt doch an die Akzeptanz der Rentenversicherung.Rische: In dieser Rechnung sind auch alle Mini-Renten enthalten. Wer nur einige wenige Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat oder womöglich nur Kindererziehungszeiten vorweisen kann. Wenn jemand eine niedrige Rente hat, dann lässt das noch nicht auf Altersarmut schließen. Gerade Menschen mit einer niedrigen Rente verfügen oft über ein deutlich höheres Haushaltseinkommen. Als Beamte zum Beispiel oder als berufsständig Versicherte. Die Realität der Lebensverhältnisse Älterer bildet eine solche statistische Angabe also nur sehr bedingt ab. Demnach wäre Altersarmut in Deutschland also kein Problem?Rische: Falsch. Aber Pauschalisierungen helfen nicht weiter. Denn dann kann ich auch sagen, wir haben nur gut zwei Prozent aller Rentenbezieher, die auf zusätzliche Grundsicherung angewiesen sind. Da gibt es andere Bevölkerungsschichten, die viel stärker unter Armut leiden. Fest steht aber auch, dass einige Gruppen unter den jetzigen und künftigen Rentnern besonders gefährdet sind. Um die müssen wir uns kümmern. Welche Gruppen meinen Sie?Rische: Zum einen handelt es sich um die Erwerbsminderungsrentner. Von ihnen beziehen nicht nur gut zwei, sondern mehr als zehn Prozent zusätzliche Grundsicherung vom Staat. Hier muss die neue Bundesregierung handeln. Eine weitere Gruppe sind die Niedriglöhner. Bei ihnen folgt die Altersarmut der Erwerbsarmut. Das hat aber mit der Rentenversicherung nichts zu tun. Dagegen könnten Mindestlöhne helfen, aber möglicherweise auch subventionierte Mindestbeiträge für die Rentenversicherung. Was ist mit den Langzeitarbeitslosen?Rische: Das ist die dritte Gruppe. Hier muss man überlegen, ob auf den vormaligen Lohn wieder angemessene Beiträge in die Rentenkasse kommen sollen. So wie das vor der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bereits der Fall war. Und dann gibt es noch solche Selbstständige, die nirgendwo versichert sind. Hier muss über eine Versicherungspflicht nachgedacht werden. Nach aktuellem Stand kann der Rentenbeitrag 2014 deutlich sinken. Aber SPD und Union sperren sich dagegen, um zusätzliche Leistungen zu finanzieren. Eine gute Idee?Rische: Wenn man zusätzliche Leistungen einführt, deren Finanzierung von den Beitragszahlern zu erbringen sind, dann ist das nicht unbedingt eine Stabilisierung der Rentenversicherung, sondern eine weitere Belastung. Zumal es sich wie etwa bei der politisch angestrebten Ausweitung der Mütterrenten um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die folglich besser über Steuern zu finanzieren wäre anstatt über Beiträge. Aber für viele Leute ist es unverständlich, dass der Rentenbeitrag sinkt, obwohl die Altersarmut tendenziell steigt.Rische: Zunächst einmal: Eine Beitragssatzsenkung hat auch den Effekt, dass die Bezüge der Rentner dadurch steigen. Wahr ist zudem, dass der Beitrag laut Gesetz steigen muss, wenn die Reserven in der Rentenkasse eine bestimmte Grenze unterschreiten. Vor diesem Hintergrund lassen sich umgekehrt auch Beitragssenkungen rechtfertigen, wenn das Finanzpolster wie jetzt absehbar eine konkrete Höhe überschreitet. Die Frage ist doch, warum man wegen zusätzlicher Leistungen eine Beitragssenkung vermeiden will, nur, um Steuermittel zu sparen. Dies muss die Politik beantworten. vetExtra

 Herbert Rische. Foto: dpa

Herbert Rische. Foto: dpa

Herbert Rische, geboren 1947 in Passau, ist seit 1991 Präsident des größten deutschen Rentenversicherungsträgers, der Deutschen Rentenversicherung Bund (ehemals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte). Rische studierte von 1969 bis 1973 Rechtswissenschaften in Freiburg, Berlin und Genf und war ab 1977 Richter am Sozialgericht Stuttgart. 1978 promovierte er zum Thema "Ausgleichsansprüche zwischen Sozialleistungsträgern". Bis 2013 war er Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung. Quelle: Wikipedia

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