Kolonialgeschichte 500 Jahre Widerstand

Köln · Die Ausstellung „Resist! Die Kunst des Widerstands“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln zeigt die Kolonialgeschichte aus kreativen und ungewohnten Blickwinkeln.

Das rote Schild vor dem Eingang spricht eine unmissverständliche Warnung aus: Wer diesen Raum betritt, wird Darstellungen von „körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt“ sehen. Im Inneren der kleinen Kabine, die von den namibischen Aktivistinnen Esther Utjiua Muinjangue und Ida Hoffmann gestaltet wurde, hängen zahlreiche Bilder an den Wänden. Sie zeigen abgemagerte Menschen in Ketten, an Bäumen aufgehängte Zivilisten. Es sind grausame Momentaufnahmen der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia. Deutlich visualisieren sie die unmenschlichen Zustände, denen die Herero und Nama im 20. Jahrhundert ausgesetzt waren.

Das Leiden und Sterben der Einheimischen gehörte in den Kolonien überall auf der Welt zum Alltag. Ihre Darstellung und Aufarbeitung ist aber nur eine Facette der Ausstellung „Resist! Die Kunst des Widerstands“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum. Vielmehr steht das Leben im Vordergrund. Die Exponate sind Zeugnisse des aktiven und passiven Widerstands. Sie zeigen, wie sich die Menschen gegen die Besatzer zur Wehr setzten, wie sie es trotz gewaltsamer Unterdrückung schafften, ihre Kultur zu bewahren und sich zu befreien. Gleichzeitig sollen aktuelle Bewegungen wie die „Black Lives Matter“-Proteste vor dem Hintergrund der Kolonialzeit betrachtet werden.

Direkt am Eingang werden Besucher von einem Video empfangen, das in wackligen Bildern den Abriss eines Reiterstandbildes von Mouzinho de Albuquerque in Mosambik dokumentiert. Es ist eine Geste der Befreiung. Das Abbild des portugiesischen Kolonialherren thronte lange vor dem Rathaus der Stadt Maputo. Als Mosambik sich 1975 nach 400 Jahren portugiesischer Besatzung seine Unabhängigkeit erkämpfte, wurde es entfernt. „Wir wollten keine passive und starre Ausstellung, sondern die Bewegung zeigen, die zu jedem Widerstand dazugehört“, sagt Nanette Snoep, die Direktorin des Museums. Bewusst habe man sich für eine Amateuraufnahme von der Aktion entschieden: „Alles hier soll aus der Perspektive der Betroffenen beleuchtet werden. Sie kommen zu Wort. Auf die Darstellung der Kolonialgeschichte aus europäischer Sicht haben wir dagegen verzichtet.“

Die Kolonialzeit prägt bis heute das Leben der Menschen. Das zeigen nicht nur die Aufnahmen, sondern auch zahlreiche andere Exponate. „Es ist wie ein Gespenst, das unsere Gegenwart und unsere Zukunft ständig heimsucht und immer wieder unterbricht, weil Geschichte nicht ‚richtig‘ erzählt wurde“, schreibt die Künstlerin Grada Kilomba auf einer Ausstellungstafel mit der Überschrift „Trauma und Transformation“.

Ein eindrückliches Beispiel für das zweifelhafte Erbe der Kolonialherrschaft findet sich auch im Depot des Rautenstrauch-Joest-Museums. 93 Objekte aus dem Königreich Benin, dem heutigen Nigeria, lagern dort. Drei weitere gehören zu einer Dauerausstellung. Die Hofkunstwerke wurden 1879 von britischen Soldaten erbeutet. „Alleine unser Museum besitzt damit mehr von diesen für das Land so wichtigen Kulturgütern als Nigeria selbst“, betont Snoep. Sie wieder an die eigentlichen Besitzer zurückzugeben, sei ihr ein wichtiges Anliegen.

Für die Ausstellung hat die nigerianische Künstlerin Peju Layiwola die Objekte arrangiert. Die sogenannten Benin-Bronzen liegen in ihrem Raum verteilt, der selbst wie ein kleines Depot gestaltet wurde. Sicher eingepackt und akribisch nummeriert werden die künstlerischen Errungenschaften eines Königreiches hier unter Verschluss gehalten.

Jeder Künstler verarbeitet die Auswirkungen der Kolonialherrschaft und die verzerrte europäische Perspektive in der Ausstellung auf seine Weise. So schlüpft der senegalesische Fotograf Omar Victor Diop in die Rolle von Diplomaten, Denkern, Künstlern und ehemaligen Sklaven. Alles außergewöhnliche Persönlichkeiten des Widerstands. In jedem Bild versteckt sich jedoch ein Störfaktor: Mal ein Fußball, mal Torwarthandschuhe. Diop verweist so auf die stereotypische Darstellung „Schwarzer Männer“ in den populären Medien. Sie werden als Sportler verehrt, andere Errungenschaften dagegen oft ignoriert.

Wer in der Ausstellung von Motiv zu Motiv spaziert, wird von einer dichten Klangkulisse begleitet. Traditionelle Musik ist ebenso zu hören wie ein wütender Vortrag über „white Privilege“ – weiße Privilegien. „Widerstand ist oft auch laut“, erklärt Snoep. „Das ist hier in der Halle nicht anders.“ So spricht „Resist!“ verschiedene Sinne an, was bisweilen überfordern kann, auch weil die Exponate nicht nach Ländern geordnet sind und es keine klaren Abgrenzungen zwischen den Stationen gibt.

Alles wirkt wie ein riesiges Mosaik. „Die Vielseitigkeit von Widerstand soll durch den Aufbau symbolisiert werden. Gleichzeitig hängen die Bewegungen oft zusammen, inspirieren sich gegenseitig“, erklärt die Museumsdirektorin.

 Die Bilder des Fotografen Omar Victor Diop wie „Jean-Baptiste Belley“ provozieren durch Störfaktoren wie Fußbälle.

Die Bilder des Fotografen Omar Victor Diop wie „Jean-Baptiste Belley“ provozieren durch Störfaktoren wie Fußbälle.

Foto: Omar Victor Diop, Courtesy Galerie MAGNIN-A/Omar Victor Diop

„Resist!“ haben die Kuratoren und Künstler als eine Begegnungsstätte konzipiert, wo man über die Kolonialzeit und aktuelle Probleme wie Rassismus und Ausgrenzung spricht. Durch die Corona-Pandemie ist das allerdings vorerst nicht möglich. „Wir hoffen, im Laufe des Jahres die geplanten Programmpunkte und Performances umsetzen zu können“, sagt Snoep. Eine neue Perspektive auf die Kolonialzeit eröffnet die facettenreiche Ausstellung aber bereits jetzt. Sie kann schmerzhaft sein, aber ist dringend notwendig.

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