Kultur Wenn die Fassade bröckelt

Trier · Starke Emotionen, eine unkonventionelle Inszenierung und lautstarke Dialoge. Am Sonntag feierte das Schauspiel „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ Premiere im Großen Haus in Trier. Und gab den Zuschauern einiges zum Nachdenken mit.

 Die vier Schauspieler überzeugten auch ohne viele Requisiten. 

Die vier Schauspieler überzeugten auch ohne viele Requisiten. 

Foto: TV/Simon Hegenberg

Die Wohnungsumrisse sind mit farblosen und grünen Flaschen markiert, und viel mehr braucht es auch nicht an Requisiten. Ein Buch, ein Plattenspieler, ihre Kostüme und Blumen, das reicht den vier Schauspielern (Ausstattung: Franziska Isensee). Sie benötigen  nicht viel, um starke Gefühle bei ihren Zuschauern auszulösen.

Die vier spielen konzentriert und ohne Unterbrechung, es gibt keine Pause. Obszöne Ausdrücke, starke Dialoge und komische Elemente gehen Hand in Hand. Genau das ist auch die Intention von Regisseurin Kathrin Mädler: „Theater soll nachhaltig berühren, emotional oder ästhetisch, bestenfalls auf verschiedenen Ebenen.“ Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ ist das erste Stück von Edward Albee, das am Broadway gespielt wurde. Mit der Uraufführung 1962 wurde der Autor über Nacht berühmt. Albee erhielt zudem zahlreiche Preise. Mit dem Drama kritisiert Albee den „Amerikanischen Traum“ und eine aus Fassaden bestehende Gesellschaft.

In dem Stück von Albee lädt Martha, sehr lebendig gespielt von Berit Menze, ohne das Wissen ihres Mannes George (Thomas Limpinsel) ein junges Paar nach einem offiziellen Fest nach Hause ein. Die Stimmung ist bei dem Paar schon aufgeheizt, viel Alkohol sorgt für noch mehr Aggressionen, und die Situation eskaliert. Für die Gastgeber ist der Abend ein Spiel, sie verletzen sich gegenseitig und auch ihre Gäste immer wieder verbal. Zuerst hilflos in den Streit von Martha und George hineingezogen, kommen auch Bloßstellungen und Geheimnisse des jungen Paares Honey (Marie Scharf) und Nick (Niklas Maienschein) zum Vorschein. Mit der Zeit stellt sich aber heraus, warum sich Martha und George in ihrer Ehe so sehr bekriegen. Als Zuschauer erlebt man viele Gefühle, ein Auf und Ab, kann den Fremdscham des jungen Paares nachvollziehen, wenn sie Streitereien der Gastgeber mitbekommen, und leidet mit, wenn Geheimnisse gelüftet werden. Durch das stark konzentrierte Spiel der vier Akteure, die in ihrer Leistung kein einziges Mal nachlassen, fühlt man sich in die Kämpfe, die Martha, George, Honey und Nick miteinander und als Paare untereinander austragen, mithineingezogen.

Trotz harter Worte und viel Dramatik beschreibt Regisseurin Kathrin Mädler das Stück als „melodramatisch“. Denn für sie geht es nicht nur um Radikaltität und Boshaftigkeit, wie es zuerst vielleicht den Anschein hat. „Für mich geht es in dem Stück eher darum, was man sich vom Leben wünscht und wie man dem nachgeht“, sagt Mädler. „Aber auch um verpasste Chancen.“ Kathrin Mädler empfindet das Stück von Albee nicht nur als unterhaltsam, sondern man erfahre als Zuschauer auch etwas über das Leben. Wer das Stück nicht kennt, ist zu Beginn der lautstarken Auseinandersetzungen und der Wucht der Konfrontationen vielleicht schockiert. Wer leichte Kost oder ein traditionelles Stück erwartet, kann mit der Kraft von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ eventuell nicht umgehen.

Die Reaktion des Publikums am Ende der Aufführung jedoch war eindeuig: Minutenlanger Applaus ließ die Schauspieler immer wieder auf die Bühne kommen.

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