Zwischen Genie und Wahnsinn

Trier · Belohnte Risikofreude: Eine temporeiche, plausible Inszenierung, ein gut eingestelltes Orchester, ein exzellent agierender Chor und eine alles überragende Hauptdarstellerin Kristina Stanek machten "Die Fliege" von Howard Shore trotz nicht restlos überzeugender Musik zu einem Erfolg.

Trier. Eine verstörte Frau im blutbeschmierten Nachthemd. Die Polizei stellt Fragen. Im Hintergrund wird eine zugedeckte Leiche herausgetragen.
Die Oper beginnt wie ein Tatort-Krimi, aber im Rückblick scheint eine ganz andere Geschichte auf. Eine Wissenschafts-journalistin, Typ arrogante Zicke, trifft einen linkischen Nerd, Typ verrückter Forscher. Er träumt davon, die Beschränkungen des Körpers abzustreifen oder, wie er es ausdrückt: das Fleisch zu befreien. Seine Maschine transponiert ein Objekt von einem Ort zum anderen. Beim Raumschiff Enterprise nannte man das: beamen.
Sie nimmt ihn anfangs nicht ernst, verfällt aber dann seiner Begeisterung für das Unfassbare. Als er irrtümlich glaubt, sie habe ihn verlassen, setzt er sich einem Selbstversuch aus, mit fatalen Folgen: Er verschmilzt genetisch mit einer zufällig in die Apparatur geratenen Fliege und mutiert - wie Kafkas Gregor Samsa - langsam und qualvoll zu einem Insekt.
Howard Shore hat zu dieser dramatischen Handlung eine gekonnte Illustrationsmusik geschrieben. Die musikalische Untermalung ist überwiegend tonal und an traditioneller Harmonik orientiert. Wo sie das Bühnengeschehen wie ein Film-Soundtrack kommentiert, funktioniert die Musik gut - eine eigenständige Qualität, wie man sie von einer Oper erwarten würde, hat sie freilich selten zu bieten. Vielleicht hat sich deshalb seit der Uraufführung 2008 keine Bühne mehr für das Stück interessiert.
Dass der Abend dennoch gelingt, liegt an den Mitwirkenden. Regisseur Sebastian Welker findet packende Bilder, arbeitet exakt an der Herausarbeitung der Charaktere. Er schafft das Kunststück, trotz der permanenten Rückblenden und Szenensprünge von Librettist David Henry Hwang einen plausiblen Erzählfluss zu schaffen - nicht zuletzt dank der effektiv bespielbaren, zeitlosen und auf Schnickschnack verzichtenden Bühne von Gerd Hoffmann und Arlette Schwanenberg.

Stanek liefert Bravourleistung


Welker und seine Ausstatter lassen das Horror-Spektakel beiseite, konzentrieren sich auf die konträren Entwicklungen der Protagonisten. Je unmenschlicher Brundle, der Forscher, nach seiner Mutation wird, um so höhere humane Einsichten und Qualitäten entwickelt die oberflächliche Journalistin Veronica. Deren Veränderung zeichnet Kristina Stanek mit einer darstellerischen und sängerischen Bravourleistung nach. Jede Bewegung, jeder Schritt hat Sinn und Substanz. Shores eher spröde Gesangslinien verwandelt ihr klangvoller, für ihr Alter unfassbar komplett klingender Mezzosopran in pures Gefühl. Der 28-Jährigen gelingt es beim eleganten Gleiten durch die Partitur sogar, die etwas pathetisch geratene Botschaft des Stücks überzeugend rüberzubringen: Dass der Mensch, statt nach technischer Perfektion zu streben, seine Unzulänglichkeiten und Fehler akzeptieren möge.
Alexander Trauth als Seth Brundle hat hörbar mehr Arbeit mit den Gesangslinien. Aber auch ihm gelingen Glaubwürdigkeit und Authentizität, und er zieht - trotz der üblen, insektischen Charakterzüge, die er zunehmend entwickelt - die Empathie des Publikums auf sich.
Die dritte Hauptrolle hat bei Welker der Chor, der hier nicht anonym aus dem Hintergrund singt, sondern als Herz der Maschine sichtbar macht, dass auch die größte Technologie nur Menschenwerk ist. Der Chorpart ist kein gemachtes Bett wie bei Verdi, er muss gearbeitet und mit hoher Präzision ausgeführt werden - und das gelingt vorzüglich. Auch dank des guten Händchens von Dirigent Joongbae Jee, der den Laden sauber zusammenhält, mit feinem Gefühl für Rhythmik und Timing. Die Philharmoniker bleiben hoch konzentriert, auch wenn die Partitur sie nicht überfordern dürfte.
Am Ende Ovationen für Kristina Stanek, ausgiebiger Beifall für alle Beteiligten (in weiteren Rollen: Luis Lay, Svetislav Stojanovic, Regine Buschmann, Silvie Offenbeck, Angela Pavonet, Wolfram Winter, Silvia Lefringhausen, Carsten Emmerich und Tim Heisse) - und Erleichterung bei Intendant Gerhard Weber.Extra

Weitere Aufführungen im Theater Trier: Freitag, 24. Januar, 20 Uhr, Sonntag, 2. Februar, 19.30 Uhr, Dienstag, 4. Februar, 20 Uhr, Samstag, 15. Februar, 19.30 Uhr, Mittwoch, 26. Februar, 20 Uhr. Sonntag, 2. März, 18 Uhr, Samstag, 8. März, 19.30 Uhr. red

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