Literatur „Schief ins Leben gebaut“

Berlin · Zwischen Kreativität und Selbstzerstörung: Einblicke ins Leben Hans Falladas erscheinen in einem Kurzgeschichtenband.

Damals wie heute würde man es als recht krummen Lebensweg beschreiben. Rudolf Friedrich Wilhelm Ditzen alias Hans Fallada war von Anfang an „schief ins Leben gebaut“, wie sein Kollege Joachim Ringelnatz über seine eigene Existenz notierte. Stress mit dem Vater, der sich als Richter für den Filius ebenfalls eine juristische Laufbahn gewünscht hätte. Stress mit der Schule. Stress mit einer frühen Liebschaft, über die er die Eltern der Angebeteten in anzüglichen Briefen unterrichtete.

Ein versuchter Doppelmord mit einem Jugendfreund, als Suizid getarnt, bei dem der Freund ums Leben kam und Fallada, der schwer verletzt überlebte, wegen Totschlags verurteilt und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde.

Und immer wieder Alkohol- und Drogenexzesse, derentwegen er erstmals 1917, als 24-Jähriger, zwei Jahre in einer Entzugsanstalt verbrachte, und, weil er zur Finanzierung seiner Sucht Unterschlagungen begann, zweimal im Gefängnis landete, 1926 sogar für zweieinhalb Jahre. Mitunter soll er es bis zu 150 Zigaretten, zwei Flaschen Cognac und diverse Ampullen Morphium gebracht haben – täglich.

1921, wieder einmal in einer Heilanstalt, beginnt er zu schreiben. Sein Pseudonym hat er sich aus zwei Märchen der Gebrüder Grimm zusammengesucht – den Nachnamen vom sprechenden (und geköpften) Pferd Falada aus der „Gänsemagd“, allerdings eben mit zwei „l“, den Vornamen aus „Hans im Glück“. Glück hatte er allerdings nicht mit „Der junge Goedeschal“. Sein erster Roman, von Ernst Rowohlt veröffentlicht, wurde weitgehend ignoriert. Da Fallada auch eine Landwirtschaftslehre gemacht hatte, konnte er sich als Gutsverwalter finanziell über Wasser halten. Bis er 1931 mit „Bauern, Bonzen und Bomben“ seinen ersten Erfolg hatte. Darin thematisiert er die schleswig-holsteinische Landvolksbewegung, die ab Beginn der 1920er Jahre gegen die Weimarer Republik protestierte, Sprengstoffattentate verübte und einen Steuerboykott organisierte.

Ein Jahr später veröffentlichte er sein bekanntestes Werk, das für seinen Weltruhm sorgte: „Kleiner Mann, was nun“, die Geschichte des Buchhalters Johannes Pinneberg, der mit seiner Frau „Lämmchen“ in der Wirtschaftskrise seinen unaufhaltsamen Abstieg durchlebt und -leidet.

1933 wurde „Kleiner Mann“ erstmals verfilmt, ein Jahr später folgte eine Hollywoodfassung, in den 1960er- und 70er wurde der Roman zwei Mal fürs Fernsehen bearbeitet. Tankred Dorst schuf 1972 die gleichnamige Revue für das Bochumer Schauspielhaus, für die Erwin Bootz, der Pianist der „Comedian Harmonists“, die Musik schrieb.

Der schriftstellerische Erfolg führte nicht zu einem spürbar besseren Leben, das weiterhin von Alkohol und Drogen bestimmt wurde.

Morphium nannte er übrigens „Benzin“, auf das er in einer Kurzgeschichte ein verzweifeltes Loblied anstimmt: „In einer Viertelstunde habe ich Benzin. Es ist auch die höchste Zeit, mein Körper wird immer schwächer, mein Magen schmerzt unsinnig, er will und will Morphium haben. (…) Ich male mir aus, wie schön es sein wird, wenn ich die Nadel einsteche. Nur ein paar Minuten, ein paar ganz, ganz kleine Augenblicke … und tiefe, feierliche Ruhe wird in meine Glieder strömen, plötzlich wird das Leben schön sein, und ich werde träumen können von meinem Schloss und den Frauen. Die schönsten werden mir gehören … Denn jeden Wunsch erfüllt mir Morphium, ich brauche nur die Augen zu schließen, und die ganze Welt gehört mir.“ 1944 ließ er sich von seiner Frau Anna Issel, seinem „Lämmchen“, scheiden, und heiratete die 28 Jahre jüngere Ursula Losch – eine verhängnisvolle Beziehung, denn seine neue Ehefrau war ebenfalls drogenabhängig. Gemeinsame Entzugsversuche des Ehepaars scheiterten; am 1. Mai 1946 unternahm Fallada einen Selbstmordversuch, wurde aber von seinem Kollegen und Nachbarn, dem Schriftsteller Johannes R. Becher, gerettet. Während eines vorletzten Aufenthalts in der Nervenklinik der Berliner Charité im Dezember 1946 schrieb er seinen letzten Roman, „Jeder stirbt für sich allein“, der als erstes Buch eines nicht in die Emigration geflüchteten deutschen Autors über den Widerstand gegen das NS-Regime gilt.

Der Roman erlebte 2011 eine Renaissance auf dem Umweg über Amerika, wo eine englische Übersetzung für Furore sorgte. Daraufhin erschien das Buch auch in Deutschland erstmals in einer ungekürzten Fassung.

Gut einen Monat nach der Veröffentlichung von „Jeder stirbt für sich allein“ starb auch Hans Fallada – für sich allein, 53 Jahre alt, am 5. Februar 1947, „gegen 20 Uhr, auf seinem Zimmer in einem Behelfskrankenhaus in Niederschönhausen“, wie Peter Walther, der Herausgeber der Kurzgeschichtensammlung (siehe „Aufgeschlagen“), in seinem Nachwort notiert. Im Totenschein wurde als Ursache „Herzversagen“ vermerkt.

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