"Spielplatz" Synagoge

WITTLICH. Schon kurz nach der Reichkristallnacht im November 1938 wurde der jüdischen Gemeinde Wittlich das Eigentum an der Synagoge aberkannt und am 18. Januar 1939 durch notariellen Vertrag der Stadt Wittlich übertragen.

Das gleiche Schicksal widerfuhr dem Kolpinghaus und der Wittlicher Kolpingsfamilie. Das Landgericht Trier hob am 17. April 1950 durch einen Wiedergutmachungsvertrag diesen Eigentumsübertrag auf. Rechtmäßiger Eigentümer wurde die jüdische Kultusgemeinde Trier. Da es in Wittlich keine jüdische Gemeinde mehr gab, bemühte sich in den darauf folgenden Jahren der damalige Bürgermeister Matthias Josef Mehs um den Erwerb der Synagoge durch die Stadt, aber ohne Erfolg. Zu tief saß bei den Juden die Verbitterung und der Schmerz über die Zerstörung ihres Gotteshauses durch die Wittlicher im Jahre 1938. Nach Beendigung des Krieges und dem Abzug der französischen Kriegsgefangenen im März 1945 war die Synagoge verwaist. Die schwere Eichentür war verschlossen und niemand hatte Zutritt. Das änderte sich, als wir Jungen aus der Himmeroder Straße feststellten, dass es noch eine Hintertür gab, die aber mit einem schweren eisernen Vorhängeschloss gesichert war. Wir Kinder fanden aber heraus, dass man den dicken Mauerstein, an dem das Schloss fest war, mitsamt des Vorhängeschlosses aus dem Mauerwerk herausziehen konnte. So kamen wir unbemerkt in die Synagoge, und sie wurde unser Spielplatz, wenn das Wetter schlecht war. Wir Kinder wussten 1946 und 1947 noch nichts von der Kristallnacht und der Judenverfolgung und die französischen Kriegsgefangenen, die täglich an unseren Häusern vorbeigeführt wurden, gehörten zu unserem Kinderalltag. Erst als wir in der Schule und natürlich im Elternhaus von den schrecklichen Dingen der vergangenen zehn Jahre erfuhren, änderte sich unser Verhältnis zur Synagoge. Es war nun nicht mehr das Haus, in dem wir fröhlich "Verstecken" spielen konnten, nein, wir hatten auf einmal Furcht und Respekt vor diesem dunklen Haus und gingen auch nicht mehr hin. Im Turm, der damals offene Fensteröffnungen hatte und nicht zugänglich war (die Wendeltreppe wurde erst bei der Restaurierung eingebaut), hatten sich Schleiereulen angesiedelt, die zur Nachtzeit merkwürdige zischende Geräusche von sich gaben. Das war eine unheimliche Stimmung, und man ging auf dem Heimweg im Dunklen lieber mal auf die andere Seite des Bürgersteiges. Das dunkle Haus war verlassen, und niemand kümmerte sich um den zunehmend schlechten äußerlichen Zustand. Als durch Feuchtigkeit wegen der defekten Dachrinne die ersten Steine aus dem Mauerwerk herabfielen, sperrte die Stadt Wittlich den Vorplatz der Synagoge mit einem Bretterzaun ab. Mehr zu der Geschichte der Wittlicher Synagoge im TV am 11. Mai. Wenn auch Sie eine historische Anekdote kennen, den Namen eines Hauses oder einer Straße erklären können oder zu einem historischen Ereignis eine persönliche Geschichte zu erzählen haben, schreiben Sie unter dem Stichwort "Stadtgeschichten" mit Namen, Adresse und Telefonnummer an die E-Mail-Adresse mosel@volksfreund.de. Wichtig ist, dass Ihre Geschichte höchstens 60 Druckzeilen (à 30 Anschläge) umfasst.

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