Frankreich: Weniger Atomkraft, aber Cattenom bleibt am Netz

Trier · Der künftige französische Staatspräsident François Hollande hat vor seiner Wahl angekündigt, ältere Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen. Der Trierer Politikwissenschaftler Joachim Schild geht jedoch nicht davon aus, dass Cattenom auf der Liste stehen wird. Unser Redakteur Bernd Wientjes sprach mit dem Frankreich-Experten.

Was wird sich nach dem Sieg von François Hollande an den deutsch-französischen Beziehungen ändern?
Schild: Hollande wird für Deutschland sicherlich ein etwas sperrigerer und unbequemerer Partner werden. Aber ihm ist genauso wie dem bisherigen Präsidenten Sarkozy bewusst, dass Deutschland und Frankreich die beiden Staaten sind, die die EuroZone zusammenhalten müssen.

Was wird sich denn in Frankreich durch Hollande ändern?
Schild: Hollande wird sich etwas stärker aus dem Tagesgeschäft zurückziehen. Er wird nicht jedem Medienereignis nachrennen und an jeder Polit-Baustelle präsent sein wollen. Sarkozy hat alle politischen Entscheidungen an sich gezogen und war damit für alle politischen Fehler seiner Regierung haftbar. Die politische Arbeitsteilung zwischen Staatspräsident und Premierminister wird durch Hollande wieder stärker zutage treten.

Bislang ist Hollande allerdings politisch wenig aufgefallen, oder?
Schild: Das ist richtig. Man wusste bislang nicht so genau, wo er innerhalb der Sozialisten steht. Trotzdem wird er ein normalerer, bodenständigerer Präsident sein. Er will als bescheidener Präsident auftreten - und nicht wie Sarkozy als Präsident der Reichen. Das zeigt sich schon an der ersten Maßnahme: Er hat sich und den Ministern das Gehalt um 30 Prozent gekürzt.

Wird es ihm gelingen, Frankreich aus der finanziellen Talsohle her-auszuholen?
Schild: Ich glaube, seine im Wahlkampf versprochenen Maßnahmen werden Frankreich weiter schwächen. Das Land wird vermutlich am Ende seiner Amtszeit in Sachen Arbeitslosigkeit und Wettbewerbsfähigkeit nicht besser dastehen. Hollande hat bisher nur gesagt, wo er Steuern erhöhen, aber nicht, wo er Ausgaben im öffentlichen Dienst sparen will. Das wird zu Frustrationen führen.

Ist der Sieg Hollandes ein weiteres Zeichen dafür, dass es einen Linksruck in Europa gibt?
Schild: Es ist eher ein systematisches Abstrafen der jeweils amtierenden Regierungen. In Frankreich kamen starke Antipathien gegenüber Sarkozy hinzu. Viele, die ihr Kreuzchen bei Hollande gemacht haben, haben in erster Linie gegen Sarkozy gestimmt.

Wird sich unter Hollande etwas an der Energiepolitik, sprich der Ausrichtung auf Atomkraft, ändern?
Schild: Hollande wird am Atomkurs insgesamt festhalten. Der Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung soll aber bis 2025 auf 50 Prozent sinken. Er hat auch angekündigt, das Atomkraftwerk im elsässischen Fessenheim vom Netz zu nehmen. Cattenom hat er nicht genannt. Ich rechne daher nicht damit, dass es so schnell auf die Liste der abzuschaltenden Anlagen kommt. Man sollte sich da keinen Illusionen hingeben.Extra

Reaktionen aus Luxemburg "Ich bin nicht überrascht über dieses Resultat, und ich freue mich darauf, mit dem neuen Staatspräsidenten Frankreichs, François Hollande, zusammenzuarbeiten", sagte Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker. Er sieht keine Richtungsänderungen in Europa, auch die deutsch-französische Freundschaft sieht Juncker nicht in Gefahr. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte: "Ich bin sehr glücklich über den Sieg von François Hollande. Wir kennen uns seit 1997, und ich stand während der ganzen Kampagne in Kontakt mit ihm." Hollande setze auf die Zukunft der Jugend. (wie)Zur Person

Joachim Schild (49, Foto: privat) ist Professor für Vergleichende Regierungslehre und leitet das Zentrum für Europäische Studien an der Universität Trier. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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