Kindesmissbrauch: Dramatische Entwicklung beim Prozess

Trier · Eine Zeugenaussage hat den jüngsten Prozess um Kindermissbrauch am Landgericht Trier vorübergehend durcheinandergewirbelt. Die Bewährungsstrafe für den 53-jährigen Trierer (der TV berichtete) hing an einem seidenen Faden, da plötzlich von viel mehr Vorfällen die Rede war.

Trier. Insgesamt neun Mal soll ein 53-jähriger Mann seine beiden Nichten und seine Stiefnichte sexuell missbraucht haben, die damals sieben bis zehn Jahre alt waren. Dafür verurteilte ihn die Erste Große Jugendkammer am Freitag zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Kurz vor der Urteilsverkündung stand der Prozess allerdings auf Kippe: Laut einer Zeugin könnte in Wirklichkeit alles viel schlimmer gewesen sein.

Das Gutachten: Der Angeklagte stimmt nach seinem Geständnis vom ersten Verhandlungstag auch einer ärztlichen Untersuchung zu. Sachverständiger Dr. Ingo Baltes diagnostiziert eine "pädophile Nebenströmung". Das heißt: Die sexuelle Vorliebe für Kinder sei bei dem verheirateten Angeklagten nicht beherrschend.

Der Einwurf: Die Mutter eines der Missbrauchopfer meldet sich als Nebenklägerin überraschend zu Wort. Ihre Tochter habe sich völlig verändert, leide unter Panik attacken und sei in psychiatrischer Behandlung. Die belastenden Berührungen durch den Angeklagten hätten sich "über Jahre" hingezogen.

Die Befragung: Vorsitzender Richter Albrecht Keimburg befragt die Mutter daraufhin offiziell als Zeugin. Er verweist auf die Aussage der Tochter, die bei zwei polizeilichen Vernehmungen auf mehrfache Nachfrage nur einen strafrechtlich relevanten Vorfall beschrieben habe. Schließlich räumt die Mutter ein: "Was genau war, hat mir meine Tochter nicht gesagt." Keimburgs Fazit: "Wir haben keinen Anhaltspunkt, sie zum dritten Mal zu vernehmen und psychologisch untersuchen zu lassen."

Der Vergleich: Der Entwurf einer Vereinbarung zwischen dem Angeklagten und den drei Opfern sieht vor, dass er den drei Mädchen in Raten insgesamt 11 000 Euro zahlt. Das Gericht erkennt dies als "vollwertigen Täter-Opfer-Ausgleich" nach dem Strafgesetzbuch an (siehe Extra).

Die Plädoyers: Staatsanwalt Stephane Parent fordert zwei Jahre und acht Monate Freiheitsstrafe. Strafen über zwei Jahre können nicht zur Bewährung ausgesetzt werden - der Angeklagte müsste ins Gefängnis. Verteidigerin Martha Schwiering plädiert hingegen auf zwei Jahre mit Bewährung: "Der Täter-Opfer-Ausgleich mit vereinbarten Zahlungen kann nur funktionieren, wenn mein Mandant seine Arbeit behält und nicht ins Gefängnis muss."

Das Urteil: Die Kammer verhängt zwei Jahre auf Bewährung. Zu den Auflagen gehört, dass der 53-Jährige die Zahlungsvereinbarung einhält und eine ambulante Pädophilie-Therapie mit monatlichen Berichten absolviert. Zugunsten des Angeklagten wertet das Gericht das Geständnis, fehlende Vorstrafen, den Täter-Opfer-Ausgleich, die günstige Sozialprognose und dass die Taten lange zurückliegen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. cus
Extra

Paragraf 46a Strafgesetzbuch: Hat der Täter 1. in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder 2. in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt, so kann das Gericht die Strafe (…) mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen. cus

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