Gesundheit Wenn die Seele Hilfe braucht

Trier · Nur knapp ein Drittel psychisch kranker Menschen holt sich Unterstützung. Dabei gibt es viele Möglichkeiten – vom Therapeuten bis zur App.

Die Scheidung wirft ihn aus der Bahn. Sein Magen schmerzt, er fühlt sich schon lange mies. Alexander Trierweiler tippt auf ein Magengeschwür und geht zum Hausarzt. „Die Diagnose Depresssion kam wie vom Himmel gefallen“, sagt der heute 48-Jährige.

Nie zuvor habe er sich mit psychischen Erkrankungen beschäftigt. Woran er leide, sei schwer zu erklären. So wie jeder Mensch verschieden sei, so sei auch jede Depression anders. Oft gehe sie mit anderen Problemen einher: Etwa mit der Angst davor unter Leuten zu sein. „Ich erlebe ein Auf und Ab“, sagt er. Eine zeitlang ist es Trierweiler wieder gut gegangen – bis ein Problem am Arbeitsplatz, „es ging in Richtung Mobbing“, ihn wieder krank machte. Seitdem ist der Lagerist  arbeitsunfähig. Trierweiler hat sich Hilfe geholt: Therapie, Medikamente. Er zeichnet, hat eine Selbsthilfegruppe in Konz gegründet und das Buch „Depressionismus für Anfänger“ geschrieben – und hofft auf Besserung.

Trierweiler ist bei weitem kein Einzelfall. Die Krankenkasse DAK-Gesundheit hat Fehltage ihrer Versicherten seit 1997 ausgewertet. Die Ergebnisse wurden im Psychoreport 2019 zusammengefasst: Die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Probleme hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als verdreifacht. Häufigste Diagnose: Depression. Überproportional viele Fehltage wegen Seelenleiden gibt es in den Branchen Öffentliche Verwaltung und Gesundheitswesen. Und Frauen fehlen deswegen doppelt so häufig am Arbeitsplatz als Männer.

Umstritten ist, ob psychische Störungen tatsächlich zunehmen. „Auf jeden Fall werden sie  häufiger wahrgenommen, diagnostiziert, behandelt und es wird mehr öffentlich darüber gesprochen“, sagt Birgit Weinmann-Lutz, Psychologin und Geschäftsführerin der Psychotherapieambulanz an der Uni Trier. Dort behandeln  Psychotherapeuten, die in Ausbildung sind, Patienten – im vergangenen Jahr mehr als 700. Beobachtet werden könne, dass durch Selbstoptimierung und den Wunsch, ein glückliches Leben führen zu wollen, der Druck auf jeden Einzelnen wachse, sagt Weinmann-Lutz. Jeder Dritte erkranke einmal in seinem Leben psychisch.

Wie macht sich eine psychische Störung bemerkbar? „Das ist je nach Erkrankung sehr unterschiedlich“, sagt die Psychologin. Symptome könnten sein, wenn sich jemand häufig überlastet fühle, längere Zeit gereizt und dünnhäutig sei. Hilfe sollte man sich holen, wenn man sich nur noch durch den Tag schleppe, Dinge, die getan werden müssten, wie arbeiten gehen und den Haushalt machen, nicht mehr schaffe.

 Und Partner oder Freunde fragten: „Was ist eigentlich mit dir los?“ Psychotherapie könne erfolgreich behandeln. Mehr als zwei Dritteln der Patienten gehe es nach einer Psychotherapie deutlich besser.

Umso bedauerlicher: „Über 70 Prozent der Betroffenen suchen keine Hilfe bei psychischen Beschwerden“, sagt Ulrich Bestle vom Vorstand der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Dies zeigten Studien. Und dass sich viele Betroffene erst Hilfe holten, wenn weitere Erkankungen hinzukämen und die Beschwerden länger andauerten.

Alexander Trierweilers Hausarzt hatte die Depression diagnostiziert. Und dann?  Auf den Internetseiten der Kassenärztlichen Vereinigung und der Landespsychotherapeutenkammer gibt es Listen von Therapeuten. Bestle rät, die Liste nach einem freien Platz abzutelefonieren. „Wer dazu alleine nicht die Kraft hat, sollte sich helfen lassen“, sagt er. Oder die Sprechstunde nutzen, die jeder Therapeut anbieten muss. Wer dringend Hilfe braucht, wird gleich behandelt. Fachleute sprechen dann von Akuttherapie.

Auch Terminservicestellen entspannen seit 2016 Wartezeiten: Wer einen Überweisungschein seines Hausarztes hat, kann dort anrufen. Innerhalb von vier Wochen soll dann ein erster Termin beim Psychotherapeuten verschafft werden.  Patienten müssen dann schon mal eine weitere Fahrt in Kauf nehmen. Laut Rainer Saurwein, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz, ist zumutbar, die Zeit, die jemand bräuchte, um „den nächsten erreichbaren geeigneten Therapeuten“ aufzusuchen plus maximal dreißig Minuten.

Birgit Weinmann-Lutz empfiehlt zur Überbrückung auch digitale Helfer: Es gibt mittlerweile Apps für psychische Störungen von Panikattacken bis zur Suchterkrankung. Neben einem Selbsttest gibt es etwa bei deprexis24 viele Informationen zur Depression, einige Krankenkassen übernehmen sogar die Kosten für das Online-Therapieprogramm. Wer es persönlicher mag, könne sich auch an Selbsthilfegruppen, an Zusammenschlüsse von Experten, wie das Kompetenznetz Depression Eifel-Mosel, oder Lebensberatungsstellen wenden. Trotz Terminservicestelle und Sprechstunden kann es offenbar dann doch lange Zeit dauern bis die Behandlung beginnt. Die Studie „Wartezeiten 2018“ der Bundespsychotherapeutenkammer hat herausgefunden, dass sich  in Rheinland-Pfalz Patienten durchschnittlich fast zwanzig Wochen gedulden müssen, bis sie einen ersten Termin erhalten.

In Deutschland ist genau geregelt, wie viele Therapeuten mit Kassenzulassung einen Sitz erhalten, also eine Praxis eröffnen und mit der Krankenkasse abrechnen können. Die rheinland-pfälzische Landespsychotherapeutenkammer kritisiert, dass es derzeit viel zu wenige Sitze gebe. Die Situation wird sich verbessern: Saurwein zufolge sollen bald  fünfzig weitere Psychotherapeuten einen Sitz in Rheinland-Pfalz erhalten. „Zu wenige“, klagt Bestle. Etwa viermal so viele würden gebraucht.

 Bei Depressionen erscheint alles dunkel und sinnlos.

Bei Depressionen erscheint alles dunkel und sinnlos.

Foto: Julian Stratenschulte

Kann man psychischen Erkrankungen wie Depressionen vorbeugen? Alexander Trierweiler glaubt, dass man einiges tun kann, „damit es einen nicht so runterreißt“. Heute kennt er eine der Ursachen, die ihn wohl krank gemacht haben: Stress. „Man muss gut auf sich achten und sollte sich nicht überfordern lassen“, rät er. „Auch in der Freizeit.“

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