Kinderkrankenpflege Nestwärme Trier: „Die Kinder sind die Leidtragenden“

Trier · Die sechs Anbieter der ambulanten Kinderintensivpflege im Land laufen Sturm gegen neue Prüfungsrichtlinien.

 Kranke Kinder sind die schwächsten Glieder in der Gesellschaft. Um sie geht es im Streit um neue Richtlinien für die häusliche Kinderkrankenpflege.

Kranke Kinder sind die schwächsten Glieder in der Gesellschaft. Um sie geht es im Streit um neue Richtlinien für die häusliche Kinderkrankenpflege.

Foto: Esther Jansen / Nestwärme e.V./Esther Jansen

Jana K. möchte mit ihrem schwerbehinderten Sohn nach Hause. „Da warten mein Mann und die Geschwister von Noah“, sagt die junge Mutter, die seit vier Monaten in einem Zimmer der Nestwärme-Brückenpflege in Trier angeleitet wird, wie sie zumindest stundenweise ihren acht Monate alten Jungen alleine pflegen kann. Doch der Pflegedienst, der sie in Saarbrücken an 18 Stunden des Tages unterstützen wollte, wurde von der Krankenkasse als ungeeignet abgelehnt, trotz dessen Erfahrung mit einem ähnlichen  Kind. Schuld an der Misere von Mutter und Sohn in Trier sind seit Anfang des Jahres deutlich verschärfte Richtlinien für die Prüfung der Qualität von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen (QPR), die auch für die Anbieter der ambulanten Kinderintensivpflege gelten.

Das Problem Das von der BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft der Krankenkassen und der Medizinischen Dienste der Krankenkassen) erarbeitete Regelwerk formuliert deutlich restriktiver als bislang die Anforderungen für die ambulante Intensivpflege. Zudem wird seit Anfang des Jahres jeder Pflegedienst bis ins kleinste Detail vom MDK überprüft. Vor allem für die kleineren Anbieter bedeutete das einen deutlich höheren Aufwand und kurzfristig kaum zu bewältigende Zusatzqualifikationen für die Pflegekräfte.

Die Anbieter Einer der sechs Anbieter für die häusliche Intensivpflege schwerkranker Kinder in Rheinland-Pfalz ist die Nestwärme, die in der Region Trier 150 Kinder ambulant betreut. Nur sieben der 69 examinierten Pflegekräfte der Nestwärme verfügen nicht über die nun geforderte Zusatzqualifikation des Atemtherapeuts oder Heimbeatmungskraft. „Wir müssen deshalb derzeit viele Pflegeanfragen ablehnen“, sagt Geschäftsführerin Elisabeth Schuh. „Denn wenn in einem sechsköpfigen Team nur eine Kraft ausfällt, können wir die Versorgung nicht mehr gewährleisten.“ Vorsitzende Petra Moske spricht sogar von eine Existenzgefährdung für Anbieter wie Nestwärme. Sie verweist dabei auch auf die nun von den Krankenkassen eingeführte doppelte Prüfung aller erbrachten Leistungen. Bei kleinsten Unklarheiten werde die Kostenerstattung verzögert oder storniert. Im Einzelfall können dann 18000 Euro offen bleiben.“

„Die Kinder und ihre Familien sind die Leidtragenden“
Foto: Esther Jansen / Nestwärme e.V./Esther Jansen

Der Bundesverband Häusliche Kinderkrankenpflege (BHK) formuliert seine Kritik an den neuen Richtlinien derzeit noch diplomatischer. „Wünschenswert wäre es,dass grundsätzlich zwischen beatmeten Patienten und nicht beatmeten Patienten unterschieden wird“, sagt BKH-Geschäftsführerin Corinne Ruser im Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund. Im April soll das Thema bei der bundesweiten Pädiatrischen Fachtagung in Berlin zur Sprache kommen. Doch unabhängig davon sind die Pflegedienste im Land auch auf politischer Ebene bereits aktiv geworden (siehe Info). Die Zeit dränge.

Die Krankenkassen Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbands, will die Sorge von Nestwärme und den anderen  Anbietern der häuslichen Intensivkrankenpflege von Kindern nicht teilen. Die sehr qualifizierte Leistung in der Intensivpflege von Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen könne nur durch ausreichend qualifizierte und erfahrene Pflegefachkräfte erfolgen. Der neue Regelkatalog sei eine Richtlinie für die Krankenkassen, die bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen immer in Einzelverträgen mit dem Pflegedienst verhandelten. „Die Regelung unterscheidet zwischen der Versorgung von Kindern und Erwachsenen und gibt zum Beispiel auch vor, dass Anforderungen, die für den zu prüfenden Dienst keine Relevanz haben, als ,trifft nicht zu’ gekennzeichnet werden.“

Die Beschäftigten Die Realität sieht nach den bisherigen Erfahrungen der kleinen Pflegedienste allerdings nicht so einfach aus. In der Regel forderten die Kassen die Leistungen auch dann ein, wenn sie für die Versorgung eine Kindes nicht notwendig sei. Die Kinderkrankenschwester Birgit Turbing arbeitet seit 2012 im ambulanten Dienst der Nestwärme. „Ich bin seit 1984 und Beruf und habe alle Qualifikationen, außer die nun geforderte für Atemtherapie oder Intensivpflege. Durch die neuen Richtlinien fallen Kinder durchs Netz, die wir bislang sehr gut betreut haben. Sie und ihre Eltern sind die Leidtragenden.“ Auch Pflegedienstleiterin Anne Heinz kritisiert eine ungenügende Differenzierung in den Prüfungsrichtlinien: „Alle unsere Mitarbeiterinnen werden bei jedem Kind eingearbeitet. Das ist wichtig, denn auch eine Fachkraft mit Intensivweiterbildung kann nicht ohnes Weiteres ein Kind mit Epilepsie betreuen.“

Die Eltern Der Sohn von Renate Maier leidet an einer seltenen Erkrankung. Im Schlafzustand setzt bei dem Jugendlichen die Atmung aus. „Er wird in der Nacht beatmet und darf dann nie alleine sein. Wenn es zu Notfällen kommt, ist vor allem Erste Hilfe gefragt“, sagt die Mutter, deren Namen wir auch mit Rücksichtnahme auf ihren Sohn geändert haben. „Seit Jahren betreuen ihn Mitarbeiterinnen der Nestwärme, die das nach den neuen Richtlinien nicht mehr tun dürften. Das kann ich nicht verstehen.“ Weil die Betreuung noch mit einem „alten“ Vertrag geregelt ist, muss Renate Maier vorerst keine Änderungen befürchten.

Anders ist das bei Jana K. und ihrem acht Monate alten Sohn. Ihre Zeit in einem der sechs Zimmer der ambulanten Brückenpflege in Trier wird erst enden, wenn nach den neuen Vorgaben der Krankenkasse ein passender Pflegedienst in Saarbrücken gefunden worden ist. Es ist eine schwierige Suche.

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