Serie: Echt fit Pflaster mit Heilkräften? Wie Kinesio-Tapes funktionieren und was man beim Anlegen beachten muss

Trier · Sportler auf der ganzen Welt schwören immer mehr auf Kinesio-Tapes. Die bunten Klebebänder sollen gegen Schmerzen helfen und schneller gesund machen. Wie funktioniert das? Und haben die Farben eine Bedeutung? Wir klären auf.

Fotos: Trier Physiotherapeut zeigt, wie Kinesio-Tapes funktionieren
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Kinesio-Tape-Behandlung bei Jinan Al-Shok in Trier

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Foto: Nils Straßel

So gut wie jeder hat sie schon gesehen: große, bunte Pflaster an den Körpern von Joggern, Ballsportlern, Leichtathleten. Manchmal einen halben Meter entlang der Wirbelsäule, manchmal kurz und wellenförmig auf dem Oberschenkel angebracht: Die Anwendungsbereiche für Kinesio-Tape, kurz für kinesiologisches Tape, scheinen unendlich zu sein. Doch was ist das eigentlich? Überdimensionale Klebestreifen, die allein durch ihre Berührung Heilung versprechen? Funktioniert das überhaupt – und wenn ja, wie? Um diese und weitere Fragen zu beantworten hat sich der TV mit dem Trierer Physiotherapeut Jinan Al-Shok (siehe Info) zusammengesetzt.

Kinesio-Tape: Was ist das überhaupt?

Kinesio-Tapes sind spezielle, elastische Klebebänder zur Unterstützung von Heilungsprozessen bei Sportverletzungen und Überlastungsreaktionen. Das Band, das eine ähnliche Elastizität wie die menschliche Haut hat, passt sich mithilfe von einer Acrylklebeschicht perfekt an den Körper an. Je nachdem, wie es angelegt wird, kann es sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen, erklärt Al-Shok.

Anders als bei der Behandlung mit unelastischem Sporttape, mit dem häufig zum Beispiel Knöchel und Handgelenke stabilisiert werden, kann man sich mit Kinesio-Tapes noch immer frei bewegen – und das ist wichtig: denn damit hängt die ganze Funktionsweise einer Kineso-Tape-Behandlung zusammen, doch dazu später mehr.

Wann kommen Kinesio-Tapes zum Einsatz?

Noch vielfältiger als die Farben, in denen Kinesio-Tapes auftauchen, sind ihre Anwendungsmöglichkeiten: Zerrungen, Blutergüsse, Gelenkschmerzen sowie Muskelfaser- und Bänderrisse können unter anderem damit behandelt werden, sagt Al-Shok. Doch auch Menschen, die mit Migräne, ständigen Rückenschmerzen oder auch der Reha nach einer schlimmen Verletzung kämpfen, nutzen sie.

Außerdem können damit die Mikrozirkulation – die Durchblutung der kleinsten Blutgefäße – sowie der Lymphabfluss angeregt werden, fügt Al-Shok hinzu. So lassen sich zum Beispiel Schwellungen nach einem Unfall oder einer Operation behandeln.

Nicht nur bei Sportverletzungen, sondern allen Muskel- oder Gelenkbeschwerden sollen sie Abhilfe schaffen. Aber bringen sie wirklich was? Tim Garnier, Mittelfeldspieler von Eintracht Trier schwört zumindest darauf. Nach einem Kreuzbandriss vor einigen Monaten und einer darauffolgenden OP ist er aktuell bei Al-Shok in Behandlung. „Die Tapes helfen mir muskulär weiter. Vor allem bei der Regeneration, wenn ich mich bei Übungen überanstrengt habe“, erzählt Garnier. Er hat vor, Al-Shoks Praxis vier bis fünf Mal die Woche zu besuchen und hofft, dass die Tapes helfen, seine Rückkehr aufs Spielfeld zu beschleunigen. 

Wie wirken Kinesio-Tapes?

Mit einem Pflaster Schmerzen lindern und die Heilung unterstützen: wie soll das funktionieren? Al-Shok erklärt: „So wie Muskeln beim Kontrahieren in eine Richtung ziehen, so ziehen auch die Kinesio-Tapes. Und während Bänder einem Körperteil Stabilität geben, so können die Tapes auch dabei helfen.“ Jedoch gilt: einfach draufkleben reicht nicht. Um die geplante Wirkung zu erzielen, muss ein Kinesio-Tape mit einer speziellen Technik und in einer bestimmten Richtung angebracht werden. Je nachdem kann ein Kinesio-Tape eine Bewegung dann „unterstützen“ oder „entlasten“, sagt Al-Shok.

Konkret kann man sich das so vorstellen: Wer beispielsweise nach einem Faserriss im Oberschenkel wieder leicht mit dem Laufen anfangen will, kann mit einem unterstützenden (in die gleiche Richtung wie der Muskel ziehenden) Kinesio-Tape verhindern, sich zu überlasten und gleichzeitig Schmerzen verringern.

Auf der anderen Seite: wer nach einer Zerrung seinem Muskel Ruhe gönnen möchte, der kann mit einem entlastenden Kinesio-Tape bestimmte Bewegungen bremsen, um Spannung wegzunehmen. Im Grunde erlaubt ein Kinesio-Tape also Bewegung trotz leichter Verletzungen.

Doch ist das überhaupt gut? Sollte man eine Verletzung nicht einfach in Ruhe auskurieren? Neue medizinische Erkenntnisse zeigen, dass moderate Bewegung bei vielen Heilungsverläufen von Vorteil ist. Das sollte aber immer in Absprache mit einem Arzt oder Physiotherapeuten geschehen.

Somit könnten Kinesio-Tapes nicht nur dabei helfen, früher zurück auf die Laufstrecke, das Fahrrad oder den Fußballplatz zu kommen, sondern auch die Heilung an sich beschleunigen.

Was die schmerzlindernden Eigenschaften von Kinesio-Tape betrifft, ist noch eine weitere Funktionsweise zu erwähnen. Durch das aufgeklebte Tape in Verbindung mit Bewegung erhält das Bindegewebe und die Muskulatur eine Art Dauermassage, bei der die Mikrozirkulation zwischen Haut und Muskeln verbessert wird. Durch die Behandlung wird das analgetische (schmerzreduzierende) System des Körpers angeregt. „Das funktioniert aber nur durch die kleinen Aussparungen zwischen den klebrigen Stellen am Tape, die weiter den Fluss von Luft und Wasser im Körper erlauben“, betont Al-Shok.

Sind Kinesio-Tapes nur hilfreich für Leistungssportler?

„Ganz und gar nicht“, findet Al-Shok. Im Gegenteil: Bei Hobbysportlern, die nur gelegentlich an ihre Grenzen gehen, könnte die Kinesio-Tape-Behandlung den Heilungsprozess nach einer Verletzung um 20 bis 30 Prozent beschleunigen.

Für Leistungssportler, deren Muskeln und Gelenke unter einer viel höheren Belastung stehen, würde es viel weniger bringen. „Aber auf das Bisschen kommt es im Leistungssport manchmal an“, sagt Al-Shok.

Hinzu kommt, dass entspannende Tapes ja auch bei Menschen angewendet werden, die gar keinen Sport treiben, um Rückenschmerzen oder Nackenverspannungen zu behandeln.

Kann man Kinesio-Tapes selbst anlegen?

„Nachdem ich jahrelang mit Kinesio-Tapes gearbeitet habe, habe ich die Erfahrung gemacht: Nachahmen, was der Physio einmal gemacht hat, ist eine der größten Fehleinschätzungen“, erzählt Al-Shok. Immer mehr Menschen würden versuchen, die Tapes selbst anzulegen und wissen nicht wirklich was sie tun. Kann ein falsches Anlegen der Tapes eine Verletzung sogar verschlimmern? „Nein“, verrät Al-Shok. „Verschlimmern kann man nichts. Man erzielt einfach nur keine Wirkung.“

Beim Anlegen der Tapes sind viele Faktoren entscheidend: die Ansatzpunkte, die Zugrichtung, manchmal müssten Gelenke auch während des Anlegens bewegt werden. „Um das zu lernen besucht man eine sechstägige Fortbildung“, erzählt Al-Shok. Wer die nicht gemacht hat, solle Kinesio-Tapes immer in Absprache mit einem Arzt oder Physiotherapeuten verwenden.

Haben die Farben eine Bedeutung?

Das komme darauf an, wen man fragt, erklärt Al-Shok. Eigentlich gäbe es keinen Unterschied. Anders als häufig angenommen enthalten die verschiedenfarbigen Tapes keine speziellen Wirkstoffe und haben auch keine unterschiedliche Stärke. Vertreter der asiatischen Farbenlehre, so wie der Erfinder der Kinesio-Tapes, der Japaner Kenzo Kase, sehen allerdings eine zusätzliche Wirkung in den Farben. Al-Shok: „Die Farben rot und blau sollen eine anregende, ,tonisierende‘ Wirkung haben. Schwarz oder hautfarben soll hingegen beruhigend oder ,detonisierend‘ wirken. Ich persönlich halte aber nichts davon.“

Wo bekommt man die Tapes?

Kinesio-Tapes bekommt man überall, wo es Sport- oder Medizinartikel gibt, so Al-Shok. Im Supermarkt oder auch in Apotheken. Sie sind nicht rezeptpflichtig und der Preis pro Rolle betrage zwischen 2 und 8 Euro.

Gibt es Qualitätsunterschiede?

„Oh ja, es gibt große Unterschiede“, meint Al-Shok. Ein Problem mit Kinesio-Tapes sei, dass 10 bis 15 Prozent der Menschen allergisch auf den Acrylkleber reagieren. Das sei allerdings viel häufiger bei Tapes mit schlechter Qualität der Fall. Auch würden die billigeren Rollen deutlich schlechter halten. Da der Preisunterschied nicht so dramatisch groß ist, lohne es sich immer in Qualität zu investieren.

Wie lange halten die Tapes auf der Haut? Kann man damit duschen?

Ein ordentlich angebrachtes Tape könne man zwei bis drei Tage lang tragen, bis die Wirkung verloren geht. Auch unter der Dusche. „Man sollte aber vemeiden, minutenlang den Wasserstrahl auf das Tape zu richten, dann geht es früher ab“, warnt Al-Shok. Ein weiterer Tipp (besonders für Männer): Die Stelle, wo das Kinesio-Tape angelegt wird, sollte vorher rasiert werden. Sonst funktioniert es nicht.

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