Auf stürmischer See

Es ist das Schicksal der Konservativen in der CDU, dass auch sie von einer Parteivorsitzenden geführt werden, die stets dann, wenn sich Unmut zu entladen droht, zur Höchstform aufläuft und alle Kritik abtropfen lässt. Angela Merkel hat auf dem Parteitag in Leipzig vielleicht eine ihrer besten Reden gehalten.

Sie hat ihre eigenen Wandlungen erklärt, endlich. Und sie hat jenen, die nicht aufhören wollen, mit ihr, der CDU oder dem Zeitgeist zu hadern, klargemacht, dass es für überkommene Positionen keine Mehrheiten mehr gibt.
Das war mutig, in erster Linie aber konsequent. Das war Führungsanspruch.
Denn Merkels Kompass zeigt immer zuverlässig dahin, wo die Mehrheit ist. Grundwerte werden nicht aufgegeben, sie werden nur radikalpragmatisch gebogen. Merkel vollzieht ihre Brüche geräuschlos, und sie verkauft sie dann als Überzeugung. Kurswechsel sind keine Ausnahme, sondern inzwischen die Grundpfeiler Merkel\'scher Politik. Leipzig hat gezeigt, dass die Union diesen Weg mitgehen will. Die Delegierten haben anerkannt, dass der neue Markenkern der Volkspartei CDU jetzt ist, immer neue Verträge mit der Wirklichkeit zu schließen: Atomwende, Wehrpflicht, Mindestlohn, Europa, Schulsystem.
Die CDU des Jahres 2011 hat sich damit freilich auch zur Partei der Solistin Angela Merkel gewandelt. Weit und breit kann ihr in der Union keiner das Wasser reichen, kein Ministerpräsident, keine Vize-Vorsitzenden. Genau deshalb ist Angela Merkel endgültig im honorigen Kreis von Konrad Adenauer und Helmut Kohl angekommen. Früher nannte man die CDU einen Kanzlerwahlverein, dem es in erster Linie um den Erhalt der Gestaltungsmacht im Lande geht.
Nach Leipzig ist klar: Heute ist es nicht anders. Nur die weibliche Endung ist anzufügen: Kanzlerinnen-Wahlverein.
Gleichwohl ist die Kritik berechtigt, dass sie das Richtige meist spät macht. Sie prägt damit die Entwicklungen nicht, sie läuft den Geschehnissen hinterher. Bei Europa ist das erkennbar. Gewiss, im Euro-Drama kann man der CDU-Vorsitzenden höchstens vorwerfen, dass sie zunächst zu häufig lavierte.
Aber etwas präziser hätten Aussagen zur Zukunft der europäischen Einigung schon sein dürfen. Wie soll das künftige Europa nach der dramatischen Schuldenkrise aussehen, welche Souveränitätsrechte müssen die Nationalstaaten abtreten, gibt es ein Kerneuropa und ein Resteuropa? Angela Merkel ist darauf Antworten schuldig geblieben. An dieser Stelle zeigt sich, dass die politische Kursbestimmung auf Sicht Grenzen hat. So ein Kapitän erkennt die Eisberge meist sehr spät.
Nein, Merkel macht nicht wirklich etwas falsch. Das ist das Problem und das Schicksal der Konservativen in der Partei. Aber am Ende zählt auch für sie: Eine Union in der Regierung ist besser als eine Union in der Opposition. Wenigstens das haben Merkel und die Konservativen noch gemein.

nachrichten.red@volksfreund.de

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