Eine Chance für Deutschland

Joachim Gauck ist eine Chance für Deutschland. Für den inneren Zusammenhalt des Landes.

Aber auch für das Bild, das Deutschland nach außen abgibt. Mit seiner ersten kurzen Rede gestern vor der Bundesversammlung hat er dafür schon Zeichen gesetzt. Es sind einfache, aber umso eindrucksvollere Gedanken, mit denen er den Stolz auf Freiheit und Demokratie in unserem Land begründet.
23 Jahre nach der Wende in der DDR ist nun einer Präsident, der dort Bürgerrechtler war, wenn auch ein später. Der dann mitgewirkt hat an der beispielhaften Bewältigung der diktatorischen Vergangenheit. Und dessen großes Thema die Freiheit ist.
Sein Name ist verbunden mit der einzigen gelungenen freiheitlichen Revolution auf deutschem Boden. Diese Revolution ist unser eigenes großes demokratisches Pfund, anders als die importierte Demokratie von 1945. Ihre prägenden Werte waren Selbstbestimmung, Friedfertigkeit, Dialog, Menschenrechte. Sie sind nach 1989 viel zu schnell untergepflügt worden. Wegen seiner Lebensgeschichte hat Joachim Gauck das, was der Politik oftmals fehlt, was vor allem seinem direkten Amtsvorgänger fehlte: Glaubwürdigkeit und Integrität.
Joachim Gauck kann vielleicht wieder Menschen mit der Politik versöhnen, die sich angewidert abgewandt haben. Er kann die Bürger vielleicht wieder für die Demokratie und die Freiheit begeistern und ihnen den Wert unserer Gesellschaftsform wieder deutlich machen. Das wäre im Land der Parteienverdrossenheit und der zurückgehenden Wahlbeteiligungen ein riesiger Erfolg.
Zwar ist auch Angela Merkel eine Ex-DDR-Bürgerin, zwar wird sie zum Beispiel in den USA bewundert als das Mädchen aus Ost-Berlin, das Kanzlerin geworden ist. Aber Merkel kehrt ihre Herkunft nicht heraus. Ihre politische Geschichte begann zudem erst nach der Wende. Die von Gauck schon vorher. Zur Erinnerung: Ähnlich lange, 24 Jahre, hat es nach dem Krieg gedauert, ehe mit Willy Brandt einer Kanzler wurde, der im aktiven Widerstand gegen Hitler gewesen war und nicht nur in der inneren Emigration wie Adenauer und Erhard. Brandts Kanzlerschaft war vor allem für das Ausland ein Signal, dass Deutschland wirklich angekommen war in den Demokratien des Westens. Joachim Gauck könnte ähnlich stark nach außen wirken. Mit ihm kann Deutschland nun mehr demokratische Faszination ausstrahlen als bisher, etwa bei den Freiheitsbewegungen Arabiens oder der Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Ein solcher Mann im höchsten Staatsamt kann aber auch die praktische deutsche Außenpolitik beeinflussen. Es ist jedenfalls zu hoffen, dass er in seiner Präsidentschaft die Doppelbödigkeit von Worten und Taten bei den Rüstungsexporten, bei den Geschäften mit Diktaturen oder bei Enthaltungen im Weltsicherheitsrat nicht mehr so einfach durchgehen lässt wie seine Vorgänger.
Die große Zustimmung in der Bundesversammlung und die positiven internationalen Kommentare sind eindeutig Vorschusslorbeeren, und vielleicht sind sie überzogen. Aber sie zeugen von großer Offenheit, ja Neugier diesem Präsidenten gegenüber. Es ist zu wünschen, dass es Joachim Gauck gelingt, diese Chance zu nutzen. Nach all den Reinfällen im Schloss Bellevue.
nachrichten@volksfreund.de

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