Spontan-Empörung mit Ansage

Die spontane Empörung, mit der die Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP gestern in Berlin gemeinsam die Wahl der von den Linken tolerierten Minderheitsregierung von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen begleiteten, darf man getrost als Heuchelei verbuchen.

Mit einem ähnlichen Aufschrei der Anständigen wurden vor 25 Jahren auch die ersten rot-grünen Landesregierungen in Deutschland begleitet. Heute hechelt die Union mancherorts den Grünen regelrecht hinterher und hätte sie auch im Bund gern als potenziellen Partner.

Der Union geht es auch um ein taktisches Spiel: Durch die Tabuisierung jeglicher Zusammenarbeit mit der Linkspartei soll der SPD nur noch die Alternative gelassen werden, in Große Koalitionen mit ihr zu gehen - natürlich als Juniorpartner. Die FDP wiederum will durch ihr hartes Nein gegen Ampel-Koalitionen das bürgerliche Lager zusammenschweißen. Freilich, die Liberalen hätten das Linksbündnis selbst leicht verhindern können, wenn sie sich flexibler verhalten hätten und eine Ampelkoalition eingegangen wären.

Abkühlung kann man den Akteuren der neuen Opposition nur empfehlen. Die Wahl von Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin ist kein Tabubruch. Und eine Minderheitsregierung per se kein Vabanquespiel. Was in Düsseldorf passiert, ist lediglich ein weiteres Stück Bodenbildung in der unübersichtlichen neuen deutschen Politikwirklichkeit mit ihren fünf Parteien. Da wird noch öfter und noch anders experimentiert werden (müssen) - von schwarz-gelb-grünen Jamaika-Regierungen über die Ampel-Lösung und Rot-Rot-Grün bis hin zu einer Minderheitsregierung wie hier. Neu und unsicher ist das jedes Mal und von heftigen Geburtswehen begleitet. Aber was hätte SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft bitteschön sonst machen sollen? Sie hat glaubhaft alle Szenarien durchgeprüft und -verhandelt, bis sie bei diesem landete.

Allerdings: Das Prinzip wechselnder Mehrheiten ist keineswegs eine erstrebenswerte Lockerungsübung, wie manche es sehen. Es bedeutet quälende, oft nicht durchschaubare Diskussionsprozesse. Dem Land, seinen Bürgern und seiner Wirtschaft werden Stabilität und Verlässlichkeit schon bald fehlen. Es kann in Nordrhein-Westfalen deshalb nur darum gehen, mit der Minderheitsregierung Zeit zu gewinnen, um entweder einvernehmlich zu Neuwahlen zu kommen oder die politischen Verhältnisse in und zwischen den Parteien so zu klären, dass eine Mehrheitskoalition gebildet werden kann.

Der Kampf um die Macht an Rhein und Ruhr, er ist mit dem gestrigen Tag nicht beendet, sondern hat gerade erst begonnen.

nachrichten.red@volksfreund.de

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