Leserbrief Wer muss sich entschuldigen?

Oscar-Verleihung

Zum „Oscars 2022: Eine Ohrfeige und viele Tränen“, (TV, 30. März):

Bei der Berichterstattung über die aktuell wohl prominenteste Ohrfeige der Filmgeschichte fällt anscheinend außer mir niemandem auf: Will Smith hat sich für sein absolut unangemessenes Verhalten öffentlich entschuldigt. Und zwar postwendend, vor einem Millionenpublikum. Zwar habe ich die Übertragung der Oscar-Show nicht gesehen, da ich um diese Zeit Besseres zu tun habe.

Aber in der anschließenden Berichterstattung habe ich jedenfalls nichts davon vernommen, dass Chris Rock sich entschuldigt hätte. Er beleidigt meines Erachtens vor laufenden Kameras eine im Saal anwesende Frau wegen ihrer Frisur und hat sich noch nicht einmal ansatzweise bemüht, anschließend Anstand zu zeigen. Der Täter wird aus meiner Sicht hier als Opfer dargestellt. Unzähligen Frauen kommt das sicher bekannt vor. Dabei haben wir gerade erst zum Anfang dieses Monats, wie jedes Jahr am Internationalen Weltfrauentag, wieder unzählige Lippenbekenntnisse gehört, dass Frauen nicht anders als Männer behandelt werden sollten. Wann wurde denn der letzte Witz bei einer Oscar-Verleihung über die Frisur eines der anwesenden Männer gemacht? Bei der einzigen Frage, die im Zusammenhang mit dieser unsäglichen Äußerung von Chris Rock diskutiert wird, geht es darum, ob er von Jada Smiths Erkrankung (Sie leidet unter kreisrundem Haarausfall, Anm. der Redaktion) wusste. Dabei ist es doch völlig egal, ob sie – wie seinerzeit Sinead O’Connor – nur Lust hat, ihre Haare zu rasieren oder ob sie die Haare gezwungenermaßen so trägt. Sich öffentlich abfällig über das Aussehen einer Frau zu äußern, ist ein Unding. Wenn eine Person sich Sorgen darüber machen sollte, ob sie von der Academy jemals wieder zu einer Preisverleihung eingeladen wird, dann doch wohl nicht Will Smith, sondern Chris Rock.

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