Aufgeschlagen – Neue Bücher „Heute-Szenen um Elija“ von Stephan Reimund Senge Nachdenken am Rand der Wüste

Unter allen Gestalten des Alten Testaments ist er einer der menschlichsten. Elija (oder in anderer Schreibweise: Elias) – der Gottverkünder und Gottsucher, der Leidende und Rächer, der Anstifter eines blutigen Pogroms, ein Mensch, der auf Wunder wartet und dabei fast verzweifelt, ein Heilsverkünder, der am Ende spektakulär aufgehoben wird zu einem schweigenden Gott und dabei seinen Jünger Elischa hilflos zurück lässt.

 Die „Heute-Szenen um Elija“ von Stephan Reimund Senge

Die „Heute-Szenen um Elija“ von Stephan Reimund Senge

Foto: Himmerod-Drucke

Auch ein quasi bibliografischer Aspekt ist erstaunlich: Entgegen seiner Prominenz bei späteren Literaten und Komponisten räumt das Alte Testament diesem Propheten kein eigenes Buch ein. Fast scheint es nur eine Nebenrolle zu sein, die Elija im ersten und im zweiten Buch der Könige spielt.

Stephan Reimund Senge vom Kloster Himmerod hat die eindringliche und vielfältige Geschichte des Propheten Elija in die Gegenwart transponiert. „Heute-Szenen um Elija“ nennt er sein aktuelles Buch. Und macht schon im Titel deutlich: Da will ein Autor nicht historisierend oder psychologisierend nachforschen. Senge entdeckt vielmehr den aktuellen und dabei ganz persönlichen Kern der Elija-Geschichte. Wie ein Leitmotiv durchziehen die Erlebnisse des Propheten am Rande der Wüste das gesamte Buch – die wundersame Errettung des Verdurstenden, der Rückzug nach missglückter Bekehrung, die symbolstarke Wanderung über 40 Tage und 40 Nächte zum Gottesberg Horeb und nicht zuletzt die überraschende, leise, von allen Machtdemonstrationen freie Erscheinung Gottes. Wie Mose erlebt Elija den Herrn nur als Vorüberziehenden.

Um das Gerüst der Elija-Erzählung entwickelt Senge dann seine eigenen, zeitgerechten und sehr persönlichen Gedanken. Teils sind es kürzere Prosastücke, teils Gedichte, deren freie Verse künstlerisch ausdrücken, was sich auf andere Weise nur schwer ausdrücken lässt. Ursula Hess hat diese Texte symbolstark und dabei ästhetisch hochwertig illustriert. Der Autor hält sich von allen theologischen Formeln fern. Statt Glaubensgewissheiten zu verbreiten, fragt er nach dem schweigenden Gott und verzichtet auf vorschnelle Antworten. Selbst Nietzsches „Gott ist tot“ wird bei ihm zum Gegenstand sensibler Nachdenklichkeit. Es ist ein Denken um das eigene Dasein in einer friedlosen und vielleicht auch gottlosen Welt – wie ein Wandern am Rande der Wüste. „Liebeslieder“ nennt Senge dann den letzten Abschnitt seines Buchs. Und er schließt das Buch ab mit einer freundlichen Vision: „Und Gott wartet bei den feurigen Pferden und dem feurigen Gefährt längst auf seinen Elija. ‚Da bist du ja endlich!‘, mag er sagen. Und heiter wartet er auch auf uns Elija-Jünger. Er mag keine verkniffenen Mienen und ein Gesicht voller Fragezeichen. ‚Ich freue mich auf Euch und Dich!‘ sagt dieser unbeschreibliche Gott – und streichelt die feurigen Pferde.“

Die „Elija-Szenen“ sind kein Fall für oberflächliche Lektüre. So, wie er sich in die Abgründe von Elija und seinem Gottesbild vertieft, so fordert der gedankenreiche Text auch vom Leser die beharrliche Auseinandersetzung. Aber die Anstrengungen, die der Text verlangt, werden reich belohnt. In einer Welt religiöser, weltanschaulicher und politischen Dogmatik sind Senges „Elija-Szenen“ eine Oase des freien, sensiblen, offenen Denkens

Martin Möller

· Stephan Reimund Senge, „… und feurig. Heute-Szenen um Elija“, 2020, 141 S. zahlreiche Bilder. Verlag Himmerod-Drucke (Michael Weyand, Trier).

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