Vinyl der Woche: Keine Macht für Niemand – Ton, Steine, Scherben Papa, was ist ein ‘68er?

Serie · Vor 50 Jahren veröffentlichten Ton, Steine, Scherben ihr Album „Keine Macht für Niemand“ – und beschrieben damit sehr treffend den Geist der damaligen Zeit.

 Ton Steine Scherben - Keine Macht für Niemand

Ton Steine Scherben - Keine Macht für Niemand

Foto: David Volksmund Produktion (Buschfunk)

Lassen Sie sich etwas von jemandem sagen, der weder Kinder hat, noch in den Sechzigern gelebt hat. Fragt ihr Kind Sie: „Papa, was ist ein 68er?“, dann sagen Sie nicht viel. Gehen Sie zum Plattenschrank und nehmen Sie die Scheibe heraus, die eines der simpelsten Cover aller Zeiten hat. Legen Sie Keine Macht für Niemand auf. Ihr Nachwuchs soll einfach zuhören. Denn Sie können den Zeitgeist von damals nicht besser und anschaulicher darstellen, als Ton, Steine, Scherben.

Und das, obwohl die Platte erst 1972, also vor 50 Jahren erschienen ist. 1968 gab es die Band nicht einmal. Dennoch steckten Rio Reiser (damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Ralph Möbius) und seine Bandkollegen mitten in ihren Zwanzigern. Eben deshalb konnten Sie eine Referenz für vieles schaffen, das in den nächsten fünf Jahrzehnten als Deutschrock durchgehen sollte. Möbius und Co. stellten sich nicht über den Hörer, verstellten sich nicht und waren genau das, was sie sein mussten, um Erfolg zu haben: Ganz normale Jungs. Und sie übertrieben es nicht. Forderten keine Anarchie, machten aber dennoch ihre Kritik am Kapitalismus deutlich. Das gepaart damit, dass Ton, Steine, Scherben auch einfach sehr talentierte Musiker waren, sicherte den Platz in der deutschen Musikgeschichte.

Und an den Wänden der Nation. Denn noch heute wird die Parole „Keine Macht für Niemand“ regelmäßig gesprüht. Ton Steine Scherben wollten das genau so, indem sie forderten: „Schreibt die Parole an jede Wand!“

Es sind diese Sätze (wie auch: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“), die den 68er-Geist perfekt beschreiben. Sie sorgten jedoch auch schnell dafür, dass das alles Ton, Steine, Scherben zu viel wurde. Sich immer politisch laut positionieren, scheint anstrengend zu sein. Schon 1975 hatten sie genug, zogen auf einen Bauernhof nach Fresenhagen in Friesland, und konzentrierten sich auf ihre Musik. 1985 trennte sich die Band – das Geld fehlte. Am Talent mangelte es jedoch nie, weswegen vor allem Rio Reiser eine sehr erfolgreiche Solokarriere anstrebte. Junimond, König von Deutschland ... Sie kennen die Songs. Vielleicht kennt diese auch ihr Nachwuchs. Wenn nicht, spielen Sie auch diese vor. Ich wette, sie werden gefallen.

Sollte auch das nicht reichen, um Tochter oder Sohn Ton, Steine, Scherben näherzubringen, verweisen sie auf Kraftklub. Die haben ihr drittes Album Keine Nacht für Niemand genannt. Wenn die Fan sind, werden es die Kleinen auch. Vielleicht ohne Parolen an die Kinderzimmerwände zu kritzeln.

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