Das ist der Trostpreis für Martin Schulz

Brüssel · Der deutsche Europapolitiker Martin Schulz war als Spitzenkandidat und Anwärter auf das Amt des EU-Kommissionschefs zur Europawahl angetreten. Dabei scheiterte er. Ausgehandelt haben seine Parteifreunde eine bestimmte Zeit für Schulz an der Spitze des Europaparlaments.

Brüssel. Martin Schulz (58) ist selten sprachlos. Doch die Frage nach einem Bonbon für die störrischen Briten brachte den wiedergewählten Präsidenten des Europaparlaments am Dienstag ins Stocken. Ein Tandem aus ihm als oberstem EU-Volksvertreter und Jean-Claude Juncker auf dem Chefsessel der Kommission werde bei David Cameron sicher keine Begeisterungsstürme auslösen, sagte der Rheinländer nach kurzem Nachdenken. Er wolle Großbritannien in der EU halten, doch dazu gehörten nunmal zwei. "Ich rede mit jedem, der einen Dialog mit mir will", sagte Schulz.
Klar ist: Der gelernte Buchhändler aus Würselen geht seine zweite Amtszeit keineswegs defensiv an - nicht nur, was die Briten betrifft. Kein Wunder. Schulz sorgte maßgeblich dafür, dass durch die Neuerung der europaweiten Spitzenkandidaten bei dieser Europawahl ein Automatismus entstand, den Wahlsieger zum Chef von Europas mächtiger Exekutive zu machen. Die Volksvertreter stellten sich früh hinter Juncker und zwangen den Hauptstädten letztlich ein Bekenntnis zum Luxemburger auf. Dieser Machtverlust stößt nicht nur David Cameron sauer auf.Zweieinhalb Jahre Chef


Zwar wollte Schulz eigentlich selbst von dem Automatismus profitieren und Europas Exekutive leiten. Da seine Sozialdemokraten aber die Wahl national wie europäisch verloren, handelte er zumindest einen honorigen Trostpreis heraus - zweieinhalb weitere Jahre an der Spitze der EU-Volksvertretung. Das Parlament weiter zu stärken, bleibe sein oberstes Ziel, verkündete Schulz nach seiner Wiederwahl. Er erhielt 409 von 612 abgegebenen gültigen Stimmen. Seine klare Kür ist Teil eines Deals der Sozialisten mit den Konservativen. Sie wollen im neuen Parlament eine große Koalition bilden - auch um Anti-Europäer und Populisten als Mehrheitbeschaffer überflüssig zu machen.
Doch auch in ihren Reihen gab es Abweichler bei der Schulz-Wahl. Denn die Furcht vor einer Dominanz der Deutschen in der EU ist in Brüssel und Straßburg deutlich spürbar. Im Parlament stellt sich die Lage so dar: Parlamentspräsident Schulz (SPD), Generalsekretär Klaus Welle (CDU) und der Chef der größten Fraktion (der konserativen EVP), Manfred Weber, sind Deutsche. Auch Grüne und Linke haben deutsche Vorsitzende. Auch in anderen EU-Institutionen ist die Bundesrepublik an Schaltstellen bestens vertreten. Der designierte neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist zwar Luxemburger, wäre aber ohne die Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht dorthin gelangt. Sein wahrscheinlicher Kabinettschef und Berater, Martin Selmayr, ist gebürtiger Bonner. Und der deutsche Kommissar Günther Oettinger dürfte in seiner zweiten Amtszeit zum Vize-Präsidenten - einem der Juncker-Stellvertreter - aufgewertet werden.
Als größter Volkswirtschaft und größtem Nettozahler der EU kommt Deutschland ohnehin eine Sonderrolle zu. So glauben viele, dass Martin Schulz selbst bei einem Wahlsieg seiner Sozialdemokraten keine Chance gehabt hätte, Kommissionspräsident zu werden - eben weil er Deutscher ist. Die Angst vor "teutonischer" Dominanz in Europa ist seit der Schuldenkrise zurück. Erst recht seit Partner wie Frankreich schwächeln. Schulz gab sich nach seiner Wahl gestern jedenfalls betont demütig. Die Wiederwahl bedeute für ihn "eine große Ehre", aber auch große Verantwortung. An seine Gegner gerichtet, sagte er: "Ich hoffe, das Vertrauen jener noch zu gewinnen, die ich nicht überzeugen konnte."Extra für Kinder

Viele Politiker standen auf und klatschten. Sie gratulierten damit einem Mann. Er heißt Martin Schulz (ist auf dem Foto auf dieser Seite zu sehen) und hat am Dienstag eine Wahl gewonnen: zum Chef des Europaparlaments. Martin Schulz ist nun der neue Präsident - und gleichzeitig auch der alte. Den Job hat der 58-Jährige schon davor gemacht. Im Europaparlament sitzen Politiker aus 28 Ländern. Die Länder gehören zur Europäischen Union, kurz EU. Auch Deutschland gehört dazu. Die Politiker im Europaparlament vertreten alle Menschen in den 28 EU-Ländern. Sie entscheiden etwa mit darüber, welche Regeln in der EU gelten. Als Präsident muss Martin Schulz auch oft Reden halten. dpa

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