Spannende Frage

BERLIN. In Bundestag und Bundesrat finden heute die wichtigen Abstimmungen zu den Reformgesetzen statt. Die spannende Frage lautet: Schafft der Kanzler die eigene Mehrheit?

Sigrid Skarpelis-Sperk hat in den Abläufen schon Erfahrung.Gestern, als sich ihre Fraktion wieder einmal zu einer Sitzung mit dem Untertitel "Der Kanzler will seine eigene Mehrheit" versammelte, verließ sie nach 35 Minuten den Saal, um sich erst einmal einen Pott Kaffee und ein Brötchen zu kaufen. Ist man als so genannte "Abweichlerin" bekannt, ist es logisch, dass der Kaffee kalt werden wird. Skarpelis-Sperk weiß, worauf sie sich einlässt, wenn sie bei einer mit Spannung erwarteten Sitzung den Journalisten vor den Türen nicht aus dem Wege geht. Dementsprechend spulte sie gestern während, aber auch vor und nach der Zusammenkunft routiniert ihre Rebellen-Botschaft ab: Sie werde gegen die im Vermittlungsverfahren vereinbarten verschärften Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose stimmen. Pech für Fraktionschef Franz Müntefering. In einem Brief an seine Genossen hatte er Anfang der Woche versucht, die Erfolge des Vermittlungsausschusses herauszuarbeiten, und mit den Sätzen geschlossen: "Wenn wir uns unterhaken, können wir viel für das Land erreichen! Und auch für die Partei!" Doch Sigrid Skarpelis-Sperk will sich partout nicht unterhaken, genauso wenig wie der Sozialdemokrat Ottmar Schreiner. Andere, Wackelkandidaten genannt, hielten sich gestern noch alle Optionen offen. Nicht zustimmen wird auch der grüne Alt-Linke Christian Ströbele. Heute um acht Uhr wird es noch einmal eine Sondersitzung der Koalitionsfraktionen geben. Das Fass der "eigenen Mehrheit" hatte Gerhard Schröder erneut selbst aufgemacht, weil den Kanzler auch die Sorge plagte, dass ihm ansonsten bei der Abstimmung zu den neuen Regeln für Langzeitarbeitslose zu viele Genossen von der Fahne gehen könnten. Um sich zufrieden zurück zu lehnen, braucht er in dieser Frage nur mehr Ja-Stimmen aus dem rot-grünen Lager als die Opposition in die Waagschale wirft - und nicht die Kanzlermehrheit von 302 Stimmen. Für das Parlament ist der Tag alles andere als Routine. Ob zum Arbeitsrecht oder zum Vorziehen der Steuerreform, noch nie hat es im Plenum 15 namentliche Abstimmungen mit solch gravierenden Auswirkungen für die Bürger gegeben. Fünf Kanzlermehrheiten sind erforderlich. Auch der Bundesrat hat parat zu stehen, weil er in den meisten Fällen die Ergebnisse aus dem Bundestag noch absegnen muss.

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