Holocaust-Gedenken Die Suche nach der Wahrheit zum Schicksal von Arnold Grünbaum

DAUN · Am 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag. Aus diesem Grund beschäftigt sich der TV in einem Gastbeitrag mit dem Schicksal von Dr. Arnold Grünbaum.

 Avghi und Arnold Grünbaum.

Avghi und Arnold Grünbaum.

Foto: TV/Franz-Josef Schmit

Das Schicksal von Arnold Grünbaum, dem jüngsten Sohn von Max Grünbaum und seiner Frau Lina, ist bis heute nicht restlos geklärt. Der Vater, langjähriges Vorstandsmitglied bei der Leonard Tiez A.G. in Köln (später Kaufhof AG), hatte als Liebhaber der Eifel 1909 in Daun ein eigens aus Schweden importiertes Holzhaus errichten lassen, um mit der Familie am Wehrbüsch die Ferien zu verbringen. Schon zu Beginn der NS-Zeit war er ins Visier der Gestapo geraten.

Zusammen mit seiner Frau flüchtete er im April 1935 nach Brüssel, wo sie die beiden letzten Jahre der deutschen Besatzung in einem Versteck überlebten. Lina starb 1949, während Max Grünbaum 1950 nach Daun zurückkehrte. Dort starb er im Mai 1952 und wurde auf dem Familiengrundstück am Philosophenweg begraben (TV vom 4./5.11. 2017). An gleichem Ort fand auch der älteste Sohn Martin seine letzte Ruhe – er hatte im Alter von 23 Jahren in einem Zug in den USA Suizid begangen.

Studium der Medizin und Übersiedlung nach Athen  Nach seinem ­Abitur 1928 in Köln am Gymnasium Kreuzgasse studierte Arnold Grünbaum Medizin. Als Jude wurde er im März 1933 zwangsexmatrikuliert. Ab Oktober konnte er sein Studium in London fortsetzen. Im Juni 1933 war Arnold Vater geworden, im September 1935 heiratete er die aus Zypern stammende, sechs Jahre jüngere Avghi Sakalli, die Mutter des gemeinsamen Sohnes Martin. Das Paar zog 1935 nach Athen, wohin sie 1939 nach einem Besuch von Max und Lina Grünbaum zurückkehrten, und Arnold an der Athener Universität sein Medizinstudium abschloss und als Arzt etliche stadtbekannte Politiker und Künstler betreute, die sich regelmäßig zu Gesellschaftsabenden in der luxuriösen Wohnung in der Rigilisstraße trafen. Mit der Kapitulation Italiens Anfang September 1943, das die judenfeindliche Politik des NS-Regimes abgelehnt hatte, geriet auch die Hauptstadt unter deutsches Regiment, und die Lage der Athener Juden spitzte sich zu.

Die Gestapo sucht Dr. Arnold Grünbaum Sohn Martin erinnert sich, dass schon im Juni 1943 ein Gestapo-Mann in der Wohnung auftauchte und ihn, den Zehnjährigen, sogar mit Süßigkeiten bewegen wollte, den Vater, der kurz zuvor die Wohnung verlassen hatte, zu verraten. Danach versteckte sich Dr. Grünbaum zusammen mit seinem Sohn bei Freunden in der Stadt, während Avghi immer wieder von der Gestapo aufgesucht, massiv unter Druck gesetzt und auch bestohlen wurde. Ein befreundeter Rechtsanwalt verhilft Arnold zu einer neuen Identität – als Dr. Karakatsanis flüchtet er mit seinem Sohn in die Berge nordwestlich von Athen. Seine Frau versorgt ihn mit Medikamenten, damit Arnold weiterhin als Arzt für Bewohner der Bergdörfer arbeiten kann. Von seinem Sohn Martin muss er sich bald trennen; dieser wird in immer wieder wechselnden Verstecken in Sicherheit gebracht.

Spekulationen und eine Akte in den Händen eines Journalisten Zum Tod von Dr. Arnold Grünbaum gab es nach Ende des Zweiten Weltkrieges verschiedene Erzählungen – die mehr Fragen als gesicherte Antworten beinhalteten. Der griechische Journalist Kosta Triandafylithis machte es sich 1976 zur Aufgabe, Dr. Grünbaums Schicksal zu klären. Ihm war schon 1949 eine Akte mit der Bezeichnung „Der Fall von Dr. Karakatsanis 19. März – 4. April 1944“ übergeben worden.

Nach Abzug der deutschen Okkupations-Truppen im Oktober 1944 flammte ein erbitterter Kampf zwischen dem rechten und linken Lager auf, der im Herbst 1944 zum Bürgerkrieg führte. Dieser wurde erst im Oktober 1949 mit der von den Briten unterstützten Wiedereinführung der konstitutionellen Monarchie beendet, doch die Spaltung des Landes dauerte fort bis in die 1970er Jahre. Die ideologischen Auseinandersetzungen bestimmten auch die späteren Bewertungen zur Rolle der früheren Kampfgruppen gegen die Besatzer der Achsenmächte. Mit der politischen Dominanz der konservativen Parteien geriet das weithin glorifizierte Erbe des EAM (Nationale Befreiungsfront) zunehmend ins Zwielicht.

Die EAM war die 1941 von der kommunistischen Partei gegründete größte Widerstandsbewegung und besaß mit der ELAS einen militärischen Arm, der den Besatzern immer wieder heftige Schläge versetzte, wodurch ihr Ansehen vor allem in den Bergregionen des Landes stetig gewachsen war. So erklärt sich auch, dass später eine offene Kritik am oft brutalen Vorgehen der ELAS selbst gegen die eigenen, mit anderen Widerstandsgruppen sympathisierenden Landsleute noch über Jahrzehnte wenig opportun schien.

Das war auch der Grund, warum der Journalist Kostas Triandafylithis die Grünbaum-Akte bis 1976 unter Verschluss hielt, in der das Handeln von ELAS-Leuten im Frühjahr 1944 gegen Dr. Grünbaum alias Dr. Karakatsanis dokumentiert war. Ab Mai 1976 beginnt er mit der Überprüfung der Akte und veröffentlicht in der Sonntagszeitung Kathimerini 25 Folgen zu dem „Fall Karakatsanis“. Der Zufall wollte es, dass Triandafylithis nach Erscheinen des dritten Artikels auf dessen Sohn Martin traf, der gerade mit seiner Frau und Tochter in Athen weilte. Martin Grünbaum unterstützte den Journalisten mit großem Engagement.

Dr. Grünbaum als Opfer der ELAS Heute lässt sich gesichert festhalten, dass Dr. Arnold Grünbaum Anfang Oktober 1943 nach Pirgos gebracht worden war, wo er bei einem Priester unter seinem falschen Namen lebte und in der ganzen Gegend als Arzt bekannt war, der zu jeder Tag- und Nachtzeit und bei jedem Wetter aufbrach, um Menschen zu helfen. Schließlich wurde er auch Arzt der britischen Mission. Dann beging der entschiedene NS-Gegner, dem man seine deutsche Staatsbürgerschaft schon längst aberkannt hatte, wohl einen entscheidenden Fehler.

Eine Gruppe von Andarten, Widerstandskämpfern, unter dem Kommando des berüchtigten ELAS-Kapetans Efthimios Zoulas operierte in der Gegend, und Dr. Grünbaum schrieb zwei Männer von Zoulas Truppe über einen Zeitraum von sechs Monaten krank. Das brachte den eitlen Zoulas mit seinem tiefen Hass gegen das Athener Bürgertum, zu dem auch Dr. Grünbaum gehörte, heftig in Rage. Er unterstellte dem Arzt, die Einsatzfähigkeit seiner Truppe zu untergraben.

Dr. Grünbaum wurde verhaftet und im Hauptquartier von Zoulas in Kapsi verhört, ohne dass etwas Belastendes gegen ihn festgestellt werden konnte. Der Arzt hatte allen Grund, Zoulas, den sogar viele seiner Vertrauten als Psychopathen beschrieben, zu misstrauen. Er nutzt einen Toilettengang zur waghalsigen Flucht, die jedoch schnell scheitert. Daraufhin konstruierte Zoulas eine Geschichte, nach der Dr. Grünbaum Doppelagent und in Wahrheit der Gestapoagent Willi Horst sei. Unter schwersten Folterungen legt Dr. Grünbaum ein „Geständnis“ ab und gibt die Namen von 16 früheren Patienten aus den Bergdörfern und einigen Athener Freunden preis, die Kontakte zu der EDES, einer mit der ELAS konkurrierenden nicht kommunistischen Widerstandsbewegung, hatten.

Der 16-jährige Kostas, Sohn des Priesters, hatte Arnold nach Kapsi begleitet.  Er berichtete später, dass Arnold drei Tage fast ohne Unterbrechung gefoltert wurde. Christos Vortselas, ein Verhörspezialist der ELAS, schätzte es richtig ein, wenn er in seinem Bericht festhielt: „Seine Achillesferse ist die Angst vor noch mehr Folter.“  Wenn Arnold in die Zelle zurückkam, sagte er jedes Mal: „Kostas, sie werden mich töten.“ Am frühen Morgen des 27. März 1944 erstarrt Kostas, als er den toten Dr. Grünbaum erblickt, aufgehangen an seinem Gürtel.

Mit großer Wahrscheinlichkeit muss man davon ausgehen, dass seine Peiniger ihn in den Suizid getrieben haben, zumal Arnolds ebenfalls gefolterter Zellengenosse Varvanas dem Tod näher als dem Leben war. Ein unterschriebenes Geständnis hat Zoulas von seinem Opfer nicht erzwingen können.

Die von Dr. Grünbaum genannten Dorfbewohner wurden verhaftet und von ELAS-Andarten barbarisch gefoltert, ohne zu wissen, was ihnen zur Last gelegt wurde. Vier Männer überleben die Torturen nicht. Anfang April 1944 erfährt das ELAS-Hauptquartier von Zoulas Handeln und stoppt seine Terrormaßnahmen. Als der Journalist 1976 die Überlebenden von Zoulas Terror aufsuchte und ihnen auch sagte, dass Dr. Grünbaum ihre Namen unter Zoulas Folter genannt hatte, wollte dies keiner glauben – trotz ihrer Leiden hörte Triandafylithis kein böses Wort zu Dr. Grünbaum.

Nicht nur wegen dieses Falles – im Laufe der Jahre wurden noch zahlreiche schwere Übergriffe von ELAS-Kämpfern dokumentiert – war man sich auch in den Reihen der früheren EAM/ ELAS einig, dass lokale Anführer wie Zoulas dem Ansehen der Widerstandsgruppe schweren Schaden zugefügt hatten. Die Zeitungsserie konnte mit dazu beitragen, Dr. Arnold Grünbaum zu rehabilitieren.

Das Leben neu geordnet Der Sohn Martin Grünbaum gelangte auf einem Transportschiff noch vor Kriegsende nach England und brauchte viele Jahre, um sein von etlichen traumatischen Erfahrungen geprägtes Leben in geordnete Bahnen zu bringen. Nach seiner Rückkehr aus den USA im Jahr 1973 arbeitete er bis 1998 als Gymnasiallehrer im Allgäu und war ein viel gefragter Referent, wenn es um den jüdisch-christlichen Dialog in Bayern ging. Eine 2015 begonnene Dissertation über Schiller an der Universität Augsburg konnte er nicht mehr vollenden. Er starb im Juli 2016 und wurde in Wales, der Heimat seiner Frau, bestattet.

 Martin Grünbaum.

Martin Grünbaum.

Foto: TV/Repro: Franz-Josef Schmit
 Artikelserie zu Dr. Arnold Grünbaum in der Sonntagszeitung Kathimerini.

Artikelserie zu Dr. Arnold Grünbaum in der Sonntagszeitung Kathimerini.

Foto: TV/Repro: Franz-Josef Schmit

Der Verfasser dankt Athina Pourpoutidou für die Übersetzung der griechischen Dokumente.

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