Mittendrin im Aufbruch

Tibet-Unruhen, die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele, Meldungen über Menschenrechtsverletzungen: Keine Woche, in der nicht über China berichtet wird. Unmittelbare Eindrücke im Reich der Mitte sammelt der Saarburger Heiner Behr. Seit fast einem Jahr ist der 21-Jährige zum Studium in der Fünf-Millionen-Stadt Ningbo.

Saarburg/Ningbo. Heiner Behr ist ganz schön "herumgekommen". Seit September 2007 in der chinesischen Hafenstadt Ningbo zu Hause, ist die zigtausend Kilometer entfernte Adresse nicht die erste Auslandsanschrift des 21-Jährigen. Nach der mittleren Reife am Gymnasium Saarburg wechselte der damals 16-Jährige an ein Gymnasium in der Nähe von London - und machte dort das englische Abitur.Zurück in Deutschland, begann er ein Wirtschafts-Studium an der Business School in Köln. "Als nach einem Jahr nicht klar war, ob der Abschluss nach EU-Recht anerkannt wird, bin ich an die University of Nottingham."

"Management studies with chinese studies" nennt sich der Bachelor-Studiengang, den Behr seit 2006 in England belegt - Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt chinesische Geschichte und Kultur. Ein Auslands-Studienjahr an der Partner-Uni der Engländer im chinesischen Ningbo ist Teil der Ausbildung. Was ihn an diesem Schwerpunkt gereizt hat, erläutert der junge Mann dem TV bei einem Kurz-Besuch in Saarburg: "Zum einen ist es die Herausforderung, diese Sprache zu lernen. Zum anderen passiert in China derzeit das, was Deutschland als Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Diese rasante Entwicklung mitzuerleben, macht für mich den großen Reiz aus."

1500 Schriftzeichen beherrsche er inzwischen - genug, um sich mit Chinesen im Alltag zu unterhalten. Zu wenig, um eine Zeitung zu lesen. "Dafür müsste ich 3000 Schriftzeichen kennen." Auf die chinesische Presse könne er jedoch getrost verzichten - "reine Propaganda", meint Behr und erläutert angesprochen auf die Tibet-Besetzung: "Darüber wird ständig berichtet, es gibt auch Fotos der Ausschreitungen. Aber die Kommentare und Einordnungen sind natürlich einseitig. Der Dalai Lama ist der große Feind."

Auch in Ningbo gehörten an den Fenstern gehisste chinesische Flaggen und Transparente in den Straßen zum Stadtbild. Gegenüber chinesischen Kommilitonen könne man das Thema zwar ansprechen - die Sichtweisen seien jedoch abgeklärt. Ein ausländischer Dozent, der während eines Vortrags die tibetische Flagge gezeigt habe, hätte sich in der darauffolgenden Nacht im Polizeiverhör verantworten müssen, werde an der Uni erzählt.

Behr selbst vertritt den Standpunkt: "Ich würde mich nicht in die Politik einmischen. Das macht als Ausländer keinen Sinn."

Die bevorstehende Olympiade verstärke die ohnehin vorherrschende und spürbare Aufbruch-Stimmung der Chinesen. Nicht zufällig sei Start am 8. August. Behr: "Acht wird ba ausgesprochen und klingt so ähnlich wie fa. Und fa bedeutet Anhäufung von Reichtum, was oberste Maxime der Chinesen ist."

"Die Chinesen haben einen sehr krassen Drang, Geld zu verdienen, und ordnen alles andere diesem Ziel unter. Das ist eine sehr materialistische, egoistische Gesellschaft." Auswirkungen zeigten sich in vielen Bereichen, nicht nur im fehlenden Rechtsverständnis oder mangelnder Mitmenschlichkeit. "Die Flüsse sind grüne Brühen, total vergiftet, die Luftverschmutzung ist hoch. Chinesen lassen überall ihren Müll fallen, auch wenn der Mülleimer um die Ecke ist." Eines Nachts sei er in einem Taxi im dicksten Verkehr an einem auf der Straße liegenden Mann vorbeigefahren. "Als ich den Taxifahrer darauf ansprach, zuckte er mit den Schultern und meinte, der sei bestimmt sowieso tot. Kein Autofahrer hat angehalten."

Chinesen sind hartes Arbeiten gewohnt

Auf die Frage, ob diese Erfahrungen ihn verändert hätten, räumt Behr ein: "Man stumpft ein bisschen ab." Beeindruckend hingegen findet er den Fleiß und die Zielstrebigkeit der Chinesen. "Wenn die etwas erreichen wollen, dann schaffen sie das. Die sind von klein auf gewohnt, hart zu arbeiten."

Sich selbst sieht er durchaus nach dem Studium an einem Schreibtisch dieses Landes: "Ich würde gerne in China arbeiten, weil ich es spannend finde, Teil dieser rasanten Entwicklung zu sein."

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