Gestorben Regisseur Neuenfels: Der Mann, der den Trierer Dom abreißen lassen wollte

Trier/Berlin · Nach dem Skandal in Trier stand ihm die Welt offen: Hans Neuenfels gilt als einer der größten Provokateure der deutschen Theaterlandschaft. Mit 80 Jahren ist der bedeutende Opern- und Schauspiel-Regisseur in Berlin gestorben. In seiner Zeit in Trier wollte er den Dom abreißen lassen - und bekam Prügel angedroht.

Gestorben: Opern- und Schauspiel-Regisseur Neuenfels sorgte in Trier für Skandal
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Vor zehn Jahren kehrte Hans Neuenfels noch einmal zurück. Zurück ans Theater Trier, für eine Lesung aus seinen Memoiren „Das Bastardbuch - Autobiografische Stationen“. Dorthin, wo er einst jüngster Oberspielleiter war, mit 23 Jahren. Dorthin, wo er einst Hausverbot erhielt. Wo sie ihn mit Schimpf und Schande vom Augustinerhof gejagt hatten.  Und wo sich äußerlich so gar nichts verändert habe, in den Jahrzehnten seit seinem Abschied 1966. „Ich wollte nur mal gegen die Lethargie der Leute hier ankämpfen“, so kommentierte Neuenfels seinen Rausschmiss: „Die Trierer Spießbürger haben mich gründlich missverstanden.“

Die fünf Regie-Arbeiten innerhalb kurzer Zeit (1965/66), die provokative Aktion auf dem Hauptmarkt, das Hausverbot, der Freundeskreis in der Stammkneipe Kulmbacher Eck, die Proteste gegen seinen Rausschmiss: Das habe er detailreich nachgearbeitet, so berichtete damals TV-Redakteur Dieter Lintz über Neuenfels‘ Autobiografie.

Krachneu war das Theater, als es Neuenfels – 1941 in Krefeld geboren – nach Stationen in Wien und Paris  an die Mosel zog. Er war es auch, der das Trierer Theater groß in die Schlagzeilen brachte, auch der „Spiegel“ berichtete genüsslich über die vermeintliche Kulturprovinz-Posse.

Das liegt nicht zuletzt an seinem großen Auftritt am 21. Juni 1966 auf dem Hauptmarkt, mit dem er „Die Heiligen Barbaren“ bewerben wollte. Mit Flyern und dem „1. Manifest, gegeben zu Trier, und das ist erst der Anfang.“ Er war bereit – das Moselmetropölchen noch nicht. Seine zehn Punkte begannen mit der freundlichen Bitte, „Helfen Sie mit, den Trierer Dom abzureißen“, er hieß auch „alte Nazis herzlich willkommen“ und fragte zynisch: „Warum schänden Sie nicht kleine Mädchen.“

 Hans Neuenfels steht vor dem damals neuen Theater Trier kopf. In Trier wurde der Regisseur 1966 vom Hof gejagt - später macht er richtig Karriere.

Hans Neuenfels steht vor dem damals neuen Theater Trier kopf. In Trier wurde der Regisseur 1966 vom Hof gejagt - später macht er richtig Karriere.

Foto: g_luxemb <g_luxemb2@volksfreund.de>

Der bitterböse Sarkasmus kam nur so mittelgut an. Neuenfels erinnerte sich – so berichtete der TV von seiner Lesung– „an eine wilde Verfolgungsjagd, bei der er sich der angedrohten Prügel nur durch das Fenster einer benachbarten Kaffeehaustoilette entziehen konnte.“

 Das war für Neuenfels der Anfang vom Ende in Trier. Die Karriere fing aber erst richtig an. Seine Provokationen brachten ihm auch kurz darauf bei der Inszenierung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ in Krefeld Ärger ein. Er bekam den Furor des – Überraschung! – beschimpften Publikums zu spüren. Ein Kritiker schwelgte: „Man war außer sich und man war glücklich.“ 

Denn da war Potenzial hinter dem Poltern. Die Provokation war kein reiner Selbstzweck. Ein Revoluzzer, ja, aber einer mit Format. Neuenfels inszenierte danach unter anderem in Frankfurt, Stuttgart, Hamburg, Berlin, München, Zürich und Wien. Dreimal wurde er zum „Opernregisseur des Jahres“ gewählt. Auch lange danach war er immer wieder für Skandale gut, das war kein Trierer Privileg.

 Die letzte Trierer Neuenfels-Inszenierung 1966: Slawomir Mrozeks „Tango“ mit dem unvergessenen Günter Reim (links). Foto: TV-Archiv/Ewerz 

Die letzte Trierer Neuenfels-Inszenierung 1966: Slawomir Mrozeks „Tango“ mit dem unvergessenen Günter Reim (links). Foto: TV-Archiv/Ewerz 

Foto: Ewerz

In Frankfurt ließ er „Aida“ die Böden putzen. Und 2006 sorgte er weltweit für (Theater-)Schlagzeilen, weil sein religionskritischer „Idomeneo“ an der Deutschen Oper Berlin aus Sorge vor islamistischen Bedrohungen abgesetzt worden war. In der Szene des Anstoßes legte König Idomeneo die abgeschlagenen Köpfe von Buddha, Mohammed, Jesus und Poseidon auf vier Stühle.

„Ohne Theater und Oper hätte ich ein für mich nicht gelungenes Leben geführt, sie waren meine Rettung und mein Glück“, resümierte Neuenfels 2010 in einem dpa-Interview. „Die Bühnenarbeit hat mir eine unglaubliche Kraft gegeben, es war eine große Bereicherung meines Lebens.“

Mit Trier hatte er da längst seinen Frieden gemacht. Das war schließlich die Stadt, so merkte er augenzwinkernd bei seinem letzten Auftritt in Trier 2012 an, „die der Anfang allen Übels war“.

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