Große Momente, kleine Fallstricke

Zwei Welten auf einer Bühne: Die erfolgreiche Pop-Sängerin Amy Macdonald hat in der ausverkauften Rockhal Esch zum ersten Mal gemeinsam mit großem Orchester gespielt. In den guten Momenten finden Pop und Klassik dabei zusammen.

 Amy Macdonald beim Auftritt in Esch. Foto: Claude Piscitelli

Amy Macdonald beim Auftritt in Esch. Foto: Claude Piscitelli

Esch/Alzette. Komasaufen ist gut für die Karriere. Das mag eine gewagte These sein, die im wissenschaftlichen Tageslicht ordentlich Schlagseite bekommt. Für Amy Macdonald steckt aber Wahrheit drin. Ohne zu viel Alkohol und ohne diesen verdammten Kater hätte sie, sagt sie, vor ein paar Jahren niemals "This is the Life" geschrieben. Und ohne diese Single wäre die Schottin wohl nicht vom Indie-Tipp zum Liebling der Masse geworden, zum breiten Pop-Konsens. So ist das Leben manchmal: Ein Kopfschmerz, der retten kann.

Sonst würde sie vielleicht im Exhaus stehen, in Jeans, die Akustikgitarre im Anschlag. Und nicht wie heute, hier: im blau-schwarz-weißen Pailettenkleid im Scheinwerferlicht der ruckzuck ausverkauften Rockhal Esch. Hinter der 23-Jährigen sitzen 65 klassische Musiker von der Deutschen Radio-Philharmonie aus Saarbrücken und Kaiserslautern, dirigiert von Gast Waltzing (Luxemburg). Neben ihr hauen die Bandkollegen in Felle und Saiten. Und vor Amy Macdonald sitzen 2700 Zuschauer, die es nicht immer auf den Stühlen hält. Die Erwartungen sind turmhoch bei der Weltpremiere in der Rockhal: An Amy Macdonald, die zum ersten Mal mit großem Orchester auftritt. An Waltzing, der für die Arrangements verantwortlich ist. Und damit auch an das ambitionierte neue Prestige-Projekt "Premium Live", bei dem Klassik und Pop verbunden werden sollen, ohne dass man mit Schüttelfrost an Rondo Veneziano denken muss.

Amy Macdonald darf den Auftakt machen. Das kann in die Hose gehen oder ganz großartig sein. Oder beides gleichzeitig. Auch wenn das Positive beim Auftakt überwiegt. Es ist ein Abend mit großen Momenten, mit Ovationen im Stehen, aber auch mit kleinen Fallstricken. Das liegt vor allem an Amy Macdonalds (noch) begrenztem Song-Fundus. Besonders deutlich wird das bei zwei Liedern, die im Original noch halbwegs funktionieren. "Mr. Rock'n'Roll" und die neue Single "This Pretty Face" werden durch die Streicher-Arrangements zur seichten Schunkel-Nummer, gefährlich nahe an der Selbstparodie. Die wenigen Ausreißer tragen aber dazu bei, dass die Stimmung bei der 90-Minuten-Show nicht durchweg euphorisch ist.

"Zwei Welten prallen aufeinander", so kündigt Amy Macdonald die Single "Don't tell me that it's over" an. Ein treibender Rocksong, der mit Hilfe des Orchesters über sich hinauswächst, an Dramatik und Tiefe gewinnt. Das sind die Momente, für die sich der immense Aufwand lohnt: Die dramatische Ouvertüre, das eindringliche, entschleunigte Springsteen-Cover "Dancing in the Dark" oder auch das orchestrale "This is the Life".

70 Musiker - aber Macdonald steht im Fokus



Es fällt nicht schwer, Amy Macdonald zu mögen: Ihre sympathische Art, ganz und gar undivenhaft, oder den extrabreiten Glasgower Dialekt. Macdonald geht auch stimmlich zwischen den zwei Busladungen voll klassischer Musiker nicht unter: Sie kommt gegen die Wand aus Streichern, Pauken und E-Gitarre an. Was vom Abend bleibt, ist ein Projekt, das eine große Zukunft haben kann. Einmal im Jahr soll es die speziellen Shows geben, sagt der Rockhal-Marketing-Chef Thomas Roscheck: "Wir suchen junge Musiker, die auch künstlerisch spannend sind."

Für Macdonald war es eine große Erfahrung. "Es ist schon ein seltsames Leben", sagt sie. Vor einer Woche hatte sie noch beim Länderspiel gegen Spanien die schottische Hymne im Stadion intoniert, dann ging es zum Proben nach Luxemburg mit dem Symphonie-Orchester. Dieser eine Kater damals, der hatte sich gelohnt.

Wer nicht live dabei sein konnte: Das Konzert wird im Radio auf SR 1 Europawelle in kompletter Länge zu hören sein (Termin steht noch nicht fest). Das Konzert wird zudem am 26. November auf CD veröffentlicht. Die Fernsehausstrahlung ist am 10. Dezember (0.30 Uhr) im SR geplant.

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