Von der Schönheit und den Schattenseiten eines in die Jahre gekommenen Würfelbaus

Trier · Was ist am Trierer Theater schön und erhaltenswert? Was ist reif für den Abrissbagger? Der TV hat sich gemeinsam mit dem technischen Leiter des Hauses durch dunkle Flure, enge Werkstätten und fensterlose Proberäume auf eine Reise ins Herz des Theaters gemacht.

Trier. Wer ins Herz des Trierer Theaters gelangen möchte, muss den Schnorchel durchqueren. "Durch das Ding würde ich mit dem Bagger durchfahren", sagt Peter Müller, der seit einem Jahrzehnt technischer Leiter des Theaters ist. Denn das rüsselförmig aus dem Gebäudekörper herausragende Foyer, das er abfällig als "Schnorchel" bezeichnet, sei kaum als Eingang zu erkennen. "Das Theater müsste ein ganz anderes Gesicht haben. Ein repräsentatives Gesicht", sagt Müller.
Schließlich hatte der Architekt Gerhard Graubner den Bau ursprünglich so konzipiert, dass er sich zur Stadt hin öffnet. In der Palästra der Kaiserthermen sollte er stehen, mit einem schicken Restaurant Richtung Weberbach.
Nachdem es wegen des geplanten Standorts in einer antiken Stätte einen europaweiten Aufschrei gegeben hatte, schwenkte die Lokalpolitik um. 1964 wurde der Neubau am Augustinerhof eröffnet. Ein ursprünglich geplanter zweiter Bauabschnitt, der das Theater Richtung Viehmarkt erheblich vergrößern sollte, wurde nie umgesetzt.
Problem: Platzmangel


Platzmangel ist seitdem eines der größten Probleme des Schauspielhauses. Die Bausubstanz hat im Laufe der Jahrzehnte gelitten. Wie sehr, sollen statische Untersuchungen schon bald zeigen. Beim Anblick mancher Stellen muss man allerdings kein Experte sein, um besorgt die Stirn zu runzeln.
Müller öffnet die Glastüren. Gleich dahinter stehen Stahlsäulen, die die sich senkende Decke der Eingangshalle notdürftig abstützen. Im Foyer heult der Wind, der sich seinen Weg durch Ritze in den einfach verglasten Fenstern gebahnt hat. Im Winter kann es dort kalt werden.
Doch nun, da die Sonne scheint, staut sich hinter der Glasfront im Treppenhaus die Hitze. Anders als unten, wo die Gäste in der Pause auf rot und blau gepolsterten Stühlen sitzend ihren Sekt trinken, stehen im lichtdurchfluteten Treppenhaus überwiegend Originalmöbel. Hocker und Bänke im Bauhausstil. Stahl und schwarzes Leder. Schlichte Eleganz, die bestens zu den kubischen Mustern im weißen Metallgeländer der Treppe passt.
Durch die Fensterfront gleitet der Blick über eine große, von alten Mauern umgebene Wiese und eine riesige Skulptur in Form einer Theatermaske hinweg Richtung Viehmarktplatz. Ein perfekter Platz für einen Biergarten. Geschützt und doch mitten in der Stadt. Man müsste auch gar nicht durch den Schnorchel gehen, um dorthin zu gelangen: Ein breiter Weg verbindet den Garten mit der Stresemannstraße und dem Viehmarktplatz. Warum wird das nicht genutzt?
Müller ist bereits im Zuschauerraum verschwunden. Kaum fällt die Tür ins Schloss, ist es stockfinster. Nur mühsam passt sich das Auge an, schweift über Polstersessel an der dunklen Holzvertäfelung empor bis zur geometrisch reliefierten Akustikdecke, ehe er sich auf die Bühne richtet.
"Der Zuschauerraum ist sehr schön. Das nenne ich demokratisch", sagt Müller. Denn von jedem einzelnen der 620 Sitze aus ist die schwach erleuchtete Bühne hervorragend zu sehen. Das Herz des Theaters.
Man muss allerdings schon selbst auf den schwarzen Planken stehen, um zu begreifen, wie groß dieses Herz ist: 20 Meter breit und 19 Meter tief. "Das ist super. Koblenz hat nur die Hälfte", sagt Müller. Vier Doppelstockpodien, in denen sich Bühnenbilder oder Schauspieler verbergen, lassen sich aus dem Untergrund emporfahren. Hinzu kommt eine Drehbühne. Und natürlich der 20 Meter hohe würfelförmige Raum, der von außen das Stadtbild prägt. 39 Seilzüge à 50 Meter Länge stehen bereit, um Vorhänge, Kulissen oder Schauspieler von oben einschweben zu lassen. Das Prinzip ist alt, aber bewährt. Kurz: Die Bühne ist, das findet inzwischen auch der designierte Intendant Karl Sibelius, trotz ihres Alters prima. Einzig die alten Steuerungen, die unter den schwarz gestrichenen Brettern in grauen Schränken stehen, müssten ausgetauscht werden.
Auch dorthin führt die Reise durchs Theater, das - kaum hat man den Publikumsbereich verlassen - zu einem Labyrinth aus nach Abfluss riechenden Gängen und Treppenhäusern wird, in denen Ortsunkundige blitzschnell die Orientierung verlieren. Wie Gedärme ziehen sich graue Versorgungsleitungen an bedrückend niedrigen Decken entlang durch fensterlose Flure, von denen Werkstätten, Proberäume und Lager abgehen, in denen zu wenig Platz ist.
In einem Raum hängen so viele Kostüme auf Kleiderstangen, dass man ihn nicht mal mehr betreten kann. Um für die Vorstellungen genügend Garderobe bereitstellen zu können, musste draußen am Nebeneingang des Theaters ein blauer Container aufgestellt werden. Die Schlosserei ist so winzig, dass Metallsäge und -bohrer im Flur stehen, der auch als Stangenlager dient. Und selbst die scheinbar großen Räume bieten so wenig Platz, dass die Arbeitsabläufe gestört sind: Die Probebühne misst nur etwa ein Fünftel der richtigen Bühne, sodass Tänzer dort schon nach ein paar Schritten vor der nächsten Wand stehen. Sie müssen also auf der Hauptbühne proben, was diese dann blockiert. Die Theatermaler können große Prospekte aus Platzmangel nicht an einem Stück malen und müssen ihren Raum zudem mit jenen teilen, die Statuen unter Staubentwicklung aus Styropor schnitzen. Die meterlangen Latten, mit denen jedes Bühnenbild beginnt, werden in die Schreinerei getragen, weil es keine Zufahrt für einen Gabelstapler gibt. Selbst die Zuschauer müssen Ungemach in Kauf nehmen: Wer eine Aufführung im nur 60 Stühle fassenden, komplett schwarz gestrichenen Studio besucht, muss durch einen dunklen Kellergang laufen, um da, wo die ölige Metallsäge der Schlosserei im Werkstattflur steht, ein WC zu finden. "Das sind funktionale Mängel. Sie behindern den Fluss und kosten Zeit", sagt Müller.
Putz und Farbe blättern


Neben funktionalen gibt es auch ästhetische Mängel: Putz und Farbe blättern, die Garderoben, in denen die Schauspieler sich auf ihre Auftritte vorbereiten, haben den Charme alter Schulumkleiden, die Toiletten sehen noch aus, wie im Jahr 1964 (riechen aber nicht mehr so frisch), und der niedrige fensterlose Raum voller Holzspinde, in dem die Musiker sich umziehen und ihre Instrumente stimmen, ist nichts für Klaustrophobiker. So manche Wand des Theaterkörpers durchzieht zudem ein Riss.
Statiker werden sich bald daran machen, herauszufinden, wie schlimm diese Risse sind und wie solide die Bausubstanz. Denn die Idee, für 40, vielleicht sogar 50 oder mehr Millionen Euro ein komplett neues Theater zu bauen, ist vorerst vom Tisch. Nun gilt es, herauszufinden, wie teuer eine Sanierung des Altbaus wäre, der zwar zahlreiche Schattenseiten hat, aber auch eine voll funktionsfähige, ungewöhnlich große Bühne und einen Zuschauerraum, der optimale Sicht bietet.
Als Ausweich- und Zweitspielstätte könnte das Trierer Walzwerk in Kürenz dienen. Dort wäre auch dauerhaft genügend Platz für Proberäume, sämtliche Werkstätten und einen Ballettsaal - was so manches Platzproblem am Augustinerhof beseitigen dürfte.
Dann müsste nur noch jemand kommen, der im Theater einen Biergarten eröffnet. Und jemand, der - ganz wie es Müller vorschwebt - mit dem Bagger durch den Schnorchel fährt, der das wahre Gesicht des Theaters derzeit verdeckt.

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