Experte: Das kann man gegen die niedrige Wahlbeteiligung tun - Zur OB-Wahl in den Aldi

Trier · 32,7 Prozent: Die niedrige Wahlbeteiligung bei der OB-Wahl hat viele politisch interessierte Menschen in der Stadt erschreckt. Ein Trierer Politikwissenschaftler findet die Zahl gar nicht so überraschend. Auf Bundesebene gibt es derweil schon ungewöhnliche Ideen, wie man mehr Menschen an die Urnen locken könnte.

 Ein paar Striche mehr dürften es schon sein: Blick in ein Wahllokal in Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Ein paar Striche mehr dürften es schon sein: Blick in ein Wahllokal in Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Nicht einmal jeder Dritte der wahlberechtigten Trierer hat bei der Oberbürgermeisterwahl seine Stimme abgegeben. Professor Uwe Jun, Politikwissenschaftler an der Universität Trier, ist von dieser niedrigen Wahlbeteiligung nicht überrascht worden. "Etwas unterdurchschnittlich" seien die 32,7 Prozent, aber nicht ungewöhnlich bei Oberbürgermeisterwahlen in Großstädten, sagt Jun. Wähler gingen zur Urne, wenn sie glaubten, dass die Wahl für sie wichtig sei. Grundsätzlich sei die Beteiligung an Bundestagswahlen am höchsten, dann folgten Landtagswahlen, Kommunalwahlen und Europawahlen. Die Beteiligung an einer OB-Wahl sei normalerweise auf dem Niveau von Kommunalwahlen und die läge selten über 50 Prozent. Im Mai, als der Trierer Stadtrat gewählt wurde, gaben 47 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Bei der OB-Wahl waren es 14,3 Prozentpunkte weniger.
Je höher die Polarisierung bei einer Wahl sei - also je mehr sich die Positionen der Kandidaten unterscheiden - desto höher sei die Beteiligung normalerweise, sagt Jun. Dass die Trierer nicht sehr zahlreich wählen gingen, ließe sich demnach unter anderem damit erklären, dass die Positionen der Kandidaten im Wahlkampf nicht sehr weit auseinander lagen. Politisch eher wenig interessierte Wähler ließen sich durch emotionale, plakative Botschaften an die Urnen locken, sagt Jun - sehr emotional waren die Kampagnen von Hiltrud Zock, Wolfram Leibe und Fred Konrad allerdings nicht.
Politisch interessierte Wähler hätten zudem mitbekommen, dass der OB in Trier nicht sehr viel Spielraum hat, hat Politikwissenschaftler Jun beobachtet: Entscheidungsgremium sei schließlich der Stadtrat. Und die Kandidaten hätten selbst ja immer betont, wie wenig die Stadt angesichts der hohen Schulden leisten könne. Die These also: Dass Parteien und Politiker immer wieder betonen, wie wenig der OB zu sagen hat und wie pleite die Stadt ist, motiviert die Wähler nicht gerade.
Unterschiede in der Wahlbeteiligung zwischen verschiedenen Stadtvierteln hängen laut Jun mit zwei Faktoren zusammen: Bildung und Einkommen. Je mehr sozial schwache Menschen in einem Viertel wohnen, desto niedriger sei tendenziell die Wahlbeteiligung, sagt Jun. Womit in Trier die Unterschiede erklärbar sind zwischen nach wie vor ärmeren Stadtteilen wie Trier-West (zwischen 14,9 und 16,7 Prozent Wahlbeteiligung) und gutbürgerlichen Stadtteilen mit wohlhabenderen Bewohnern wie beispielsweise Heiligkreuz (42,6 Prozent), Filsch (43,2 Prozent) oder Kernscheid (48,8 Prozent).
Nun sind nur noch zwei Kandidaten übrig, Hiltrud Zock und Wolfram Leibe. Dass sich bei der Stichwahl an diesem Sonntag wesentliches an der Wahlbeteiligung ändert, hält Jun für unwahrscheinlich. In München ging im März die Wahlbeteiligung bei der OB-Wahl von 42,1 Prozent im erstem Wahlgang auf 38,5 Prozent zurück. Ähnliches hält Jun in Trier für möglich. Die Parteien vor Ort könnten da vermutlich auch wenig tun.
Angesichts der seit Jahren bei allen Wahlen rückläufigen Beteiligungen, sprach sich kürzlich auf Bundesebene die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi für "kreative Ideen für eine höhere Wahlbeteiligung" aus und nannte auch einige gleich selbst: Es sollte beispielsweise nicht nur einen Wahltag, sondern eine Wahlzeit geben, über mehrere Tage oder sogar Wochen.Strafe für Nichtwähler?


Die Wahl müsse unbürokratischer und alltagsfreundlicher werden, sagte Fahimi der Leipziger Volkszeitung. Der Personalausweis müsse reichen, um wählen zu dürfen, mobile Wahllokale sollten in Supermärkten, Einkaufzentren, Bahnhöfen und anderen öffentlichen Orten aufgestellt werden. Übertragen auf Trier hieße das: Zur OB-Wahl in den Aldi, auf den Hauptmarkt oder in die Arena. Zustimmung gab es für die SPD-Vorschläge unter anderem von Bundeswahlleiter Roderich Egeler, der ebenfalls die starren Wahlregeln öffnen will. Politikwissenschaftler Jun hält all das etwas ebenso wie die Möglichkeit der Online-Wahl für diskussionswürdig, glaubt aber nicht, dass sich Entscheidendes ändert: "Damit lässt sich die Beteiligung vielleicht um ein paar Prozentpunkte steigern." Von einer Wahlpflicht, wie sie es in verschiedenen Ländern teils mit Strafandrohung gibt, hält der Politikwissenschaftler schon gar nichts: "Der Bürger ist mündig genug, zu entscheiden, ob er wählen will oder nicht."

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