Computer kontra Sozialgefühl

GEROLSTEIN/JÜNKERATH. Offiziell sind durch die Digitalisierung der Bahnstrecke zwischen Jünkerath und Gerolstein keine Stellen abgebaut worden. Die Angestellten fürchten trotzdem langfristig um ihre Arbeitsplätze und sprechen von "sozialer Misere".

"Ich sehe es als Rationalisierungsmaßnahme, wie es ja auch schon von Seiten des Arbeitskreises Schiene publiziert wurde. Das Ziel ist, den kompletten Betrieb fernzusteuern", erklärt Elke Thome aus Hillesheim, deren Ehemann seit 19 Jahren Fahrdienstleiter ist. Ende Januar wurde der Betrieb der 15 Bahnkilometer zwischen Jünkerath und Gerolstein auf digitale Technik umgestellt. Sieben Bahnübergänge, acht Weichen und zahlreiche Signale werden seitdem vom Gerolsteiner Stellwerk aus per Mausklick gesteuert.Das Fernziel der Bahn: nur sieben Stellwerke

Vier Stellwerke (zwei in Jünkerath und jeweils eines in Lissendorf und Oberbettingen) wurden durch so genannte Modulhäuser ersetzt. Kosten: 14 Millionen Euro. (der TV berichtete mehrmals). Insgesamt 14 Stellwerker arbeiteten im Schichtbetrieb auf diesem Teilbereich der Eifelstrecke. Jetzt gibt es zwischen Gerolstein und Schmidtheim kein aktives Stellwerk mehr. Die Familien der Stellwerker spüren schon lange die Auswirkungen der betrieblichen Umstellung. Kollegen ihres Ehemannes, die namentlich nicht genannt werden möchten, unterstreichen Thomes Theorie. Sie sagen: "Das Soziale ist total im Eimer. Etliche waren schon lange Zeit krank geschrieben." Andere machten "Überstunden en masse" und waren einer "Hinhalte-Taktik über ihre berufliche Zukunft ausgesetzt". Ein Stellwerker, seit Jahrzehnten im Beruf, erklärt: "Das Fernziel der Bahn ist es, bundesweit nur noch sieben Stellwerke zu haben. Da fallen langfristig auf jeden Fall noch Jobs weg. Alles andere ist doch illusorisch." In der Frankfurter DB-Netz-Zentrale sei dieser Abschnitt mit dem "P-Effekt" für "zu hoher Personalbestand" gekennzeichnet gewesen. Bahnsprecher Torsten Sälinger kontert: "Die Bahn ist ein hervorragender Arbeitgeber, und es hat keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben." Vielmehr seien alle Arbeitsplätze trotz Standortaufgabe, anders als bei anderen Firmen, erhalten worden. Elke Thome beklagt, dass "es nicht zum Sozialplan gekommen ist, sondern alles intern geregelt wurde". Einige Stellwerker ergänzen: "Sozialverträglichkeit ist ein dehnbarer Begriff. Vor sechs Wochen war noch eine total explosive Stimmung, weil wir nicht wussten, wo wir dran waren." Die Kritik der Mitarbeiter gilt vor allem den Betriebsräten in Koblenz. Die TV-Anfrage wird dort zwar beantwortet, aber der Gesprächspartner will seinen Namen geheim halten. Er sagt: "Der Sozialplan wurde abgewendet. Damit wäre niemand besser weggekommen.""Es wird auf hohem Niveau geklagt"

Mittlerweile haben alle 14 Stellwerker neue Dienststellen zugewiesen bekommen. Thome, deren Ehemann vorher in Oberbettingen oder Jünkerath eingesetzt war, arbeitet seit gestern in Kreuzberg an der Ahr. Der zweifache Familienvater könne "gut mit 40 Kilometer Fahrt leben". Bahnsprecher Sälinger erklärt: "Wir haben versucht, jeden nah am Wohnort unterzubringen. Es wird auf einem sehr hohen Niveau geklagt." Die Stellwerker wollen angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen nicht klagen: "Das Ergebnis ist tatsächlich nicht so dramatisch, wie wir lange Zeit befürchtet haben." Allerdings bliebe der Blick auf die beruflichen Perspektiven bei der Bahn und die Auswirkungen für die Familien kritisch bis ängstlich. Es sei bei fortschreitender Digitalisierung nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Wechsel anstehe.

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