Kommentar: Klau-Kids sind keine coolen Typen

Rund 1,2 Milliarden Euro jährlich lässt sich der Einzelhandel nach Angaben des Handelsverbands HDE Vorbeugung und Investitionen gegen Ladendiebstahl kosten.

 Rainer Nahrendorf. Foto: privat

Rainer Nahrendorf. Foto: privat

Detektive werden eingesetzt, Überwachungskameras installiert, Waren durch Sicherungssysteme wie Funkchips (RFID) geschützt, Ausgangsschleusen gebaut. Kleinteile, Spirituosen, Unterhaltungselektronik, Mobiltelefone und Laptops werden in Vitrinen eingeschlossen, Mitarbeiter sensibilisiert und geschult.Geholfen hat die Prävention schon. Die Inventurdifferenzen gehen zurück. Verhindern konnte sie jedoch nicht, dass immer noch Waren im Wert von rund 1,9 Milliarden Euro durch Langfinger unter den Kunden gestohlen wurden. Hinzu kommen noch Waren im Wert von 800 Millionen Euro, die nach Angaben des Verbands die eigenen Mitarbeiter beiseite geschafft haben sollen. Insgesamt summieren sich nach der Handelsstudie die jährlichen Inventurdifferenzen auf 3,7 Milliarden Euro.Für den Kampf gegen Ladendiebe zahlen, sofern sich die Kosten trotz harten Wettbewerbs abwälzen lassen, die ehrlichen Kunden. Es liegt also auch in ihrem Interesse, wenn die Straftaten nicht als Kavaliersdelikte bagatellisiert, sondern angezeigt und geahndet werden. Auch wenn nach Einschätzung mancher Händler bei Gerichtsverfahren nicht viel herauskommt, sollten sie die Anzeige und den Zeugenaufwand nicht scheuen. Denn nichts spricht sich schneller herum, als dass einem Ladendieb nicht viel passieren kann. Wer verhindern will, dass aus Gelegenheitsdieben, aus Ersttätern, Wiederholungstäter werden, muss den Anfängen wehren.Die Zahl der statistisch erfassten Ladendiebstähle ist mit 387.662 Fällen um 1,6 Prozent zurückgegangen. Aber in der Kriminalstatistik enthalten sind nur die angezeigten Tatverdächtigen. Die Dunkelziffer ist nach Expertenmeinung sehr hoch. Sie soll über 90 Prozent liegen. Zwei Drittel aller erfassten Tatverdächtigen sind Erwachsene, aber die Polizeistatistik weist auch Zehntausende von Kindern im Alter von 6 bis 14 Jahren und noch mehr Jugendliche unter 18 Jahren als Tatverdächtige aus. Gerade unter Kindern und Jugendlichen dürfte die Dunkelziffer beträchtlich sein. Denn unter 14 Jahren sind sie noch nicht strafmündig und müssen allenfalls mit der Einschaltung des Jugendamts rechnen. Verfahren gegen Jugendliche werden häufig gegen Freizeitarbeit oder Arrest eingestellt. Kinder und Minderjährige sind %anfällig für das Stehlen in Supermärkten und anderen Einzelhandelsgeschäften. Denn allzu oft gilt Klauen als Mutprobe, als Aufnahmeprüfung für eine Clique, ist Ausdruck von Abenteuerlust und verspricht Nervenkitzel oder bessert das Taschengeld auf. Ein Auge zuzudrücken oder nur zu ermahnen, hilft wenig. Die Eltern sollten ein ernstes Gespräch mit dem Nachwuchs führen und eine Strafe - zum Beispiel ein zeitlich befristetes PC-Spielverbot - hinzufügen. In den Schulen sollte ein Film vorgeführt werden mit der unmissverständlichen Botschaft: Klau-Kids sind keine coolen Typen. Der Autor ist ehemaliger Handelsblatt-Chefredakteur.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort