Leserbriefe Verstörende Inszenierung

Zur Berichterstattung über das Karl-Marx-Jahr schreiben Joachim Hupe, Gesa Nortmann und Klaus Pander:

Nun steht sie also, die kolossale Marx-Statue, das anrüchige Geschenk der Volksrepublik China. Mit der Annahme hat sich die Stadt für den künstlerischen Entwurf eines chinesischen Hofbildhauers entschieden, der auf die bewährte Bildsprache des Sozialistischen Realismus, wahlweise marxistisch-leninistischer oder marxistisch-maoistischer Prägung, setzt. Es zeugt von der Linientreue Wu Weishans, dass der Künstler im Staatsauftrag schon Standbilder von Deng Xiaoping (2014) und Mao Tse-tung (2013) schaffen durfte.

Karl Marx als Person in Trier derart zu inszenieren, ist verstörend; war er doch ein Mann, der sich privat gefühlskalt zeigen konnte und dem rassistische und antisemitische Anschauungen keineswegs fremd waren.

Leider hat die Stadt Trier nicht die Chance ergriffen, anlässlich des Jubiläums ihren Sohn als wichtigen Denker und Wirtschaftstheoretiker in eigenständiger künstlerischer Form zu würdigen. Abseits des Personenkultes hätten sich freie Künstler mit den sozialgesellschaftlichen Voraussetzungen für die Herausbildung der Marx’schen Ideen, etwa der damaligen Lage der Moselwinzer oder Industriearbeiter, bildhauerisch auseinandersetzen können. Das Ergebnis wäre wohl anspruchsvoller, wenngleich weniger PR-trächtig ausgefallen als die mediale Dauerschleife um die Statue. Die Mehrheitsentscheidung des Stadtrates zur Aufstellung des Kolosses empfinde ich als Kollektivversagen der politischen Verantwortungsträger und als Verhöhnung der Menschen, die unter eigener Gefahr solche Symbole kommunistischer Willkürherrschaft mit dem Eisernen Vorhang niederrissen. Wie sagte der Baudezernent Ludwig nach einem unbequemen Bürgerentscheid treffend: „Mehrheit ist nicht Wahrheit.“ – Es bleibt abzuwarten, ob die als „Geschenk“ teuer erkaufte Statue die erhofften Yuan in die klamme Stadtkasse spülen wird.

Den Marx-Quietscheentchen und Null-Euro-Banknoten sei kommerzieller Erfolg gegönnt. Den Geldschein gibt’s übrigens auch mit dem Kopf des Neandertalers. Dieser Urmensch ist bekanntlich ein Opfer der Evolution geworden.

Joachim Hupe, Gusterath

Mir ist diese Statue peinlich wegen ihrer unmenschlichen Größe. Sie scheint nahtlos an die monumentale sozialistische Propaganda anzuschließen.

Gesa Nortmann, Trier

Während seine Arbeiten und seine Thesen – unter anderem: „Religion als Opium des Volkes“ – auch in Zentralasien – eine Region, durch die einst die legendäre Seidenstraße von China an das Mittelmeer führte – mehr und mehr in den Hintergrund treten, ist trotz vieler Wenn und Aber am 200. Geburtstag des Philosophen Karl Marx ein Denkmal für ihn, eine überlebensgroße Bronzefigur, ein Geschenk der Volksrepublik China an die Stadt Trier, unweit der Porta Nigra aufgestellt worden (Welcome!).
Ein Blick in die Geschichte Zentralasiens – insbesondere von Usbekistan – dürfte auch und gerade heute lohnend sein: Nachdem unter der Regentschaft von Zar Alexander II. die Generäle Tschernjajew (1828-1898) und Konstantin Petrowitsch von Kaufmann (1818-1882) in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts  Zen-Traglasten für Russland erobert hatten, wollten die Russen Anfang des 20. Jahrhunderts General Kaufmann, ihren ersten Militärgouverneur von Turkestan, besonders ehren. Sie setzten ihm daher direkt im Zentrum der damaligen Großstadt Taschkent (rund 100 000 Einwohner) im Jahr 1913 ein Denkmal.

Aufgrund der russischen Revolution jedoch sah sich Taschkent verpflichtet, als Erstes die sowjetische Flagge (1917), dann das weit verbreitete Symbol des Kommunismus und Marxismus, Hammer und Sichel (1919), und später einen  Obelisk (1926) auf dem Revolutionsplatz als Mahnmale zu errichten.1930 wurden aber Lenin und 1947 Stalin auf den Schild gehoben. Im Zuge der Entstalinisierung wurde danach nur noch eine Stele mit Parolen der Kommunistischen Partei (1961) auf dem Revolutionsplatz aufgestellt.

Von 1967 bis zum Untergang der Sowjetunion 1991 sollte aber eine überlebensgroße Büste von Karl Marx an den großen Philosophen und deutschen Universalgelehrten aus Trier erinnern. Sein Monument sollte übrigens das achte Mahnmal sein, das auf dem großen Platz in Taschkent platziert wurde.

Nach Auflösung der Sowjetunion 1991 aber musste die eindrucksvolle Büste von Karl Marx auf dem ehemaligen Revolutionsplatz dem gewaltigen Reiterstandbild weichen, das Amir Timur (1336-1405) zeigt, die Leitfigur des aufstrebenden unabhängigen Usbekistans schlechthin (Goodbye!). Hoch zu Ross und fest im Sattel scheint der „Große Fürst“ Amir Timur nun ausdrücklich die Usbeken an die Leistungen der Timuriden (15. Jahrhundert) zu erinnern.

Auch in Usbekistan sind während der letzten Jahre Denkmäler des Kommunismus abgetragen worden. Heute begegnet man vornehmlich überlebensgroßen Statuen – beispielsweise für den Mathematiker Al-Choresmi etwa 780-850) in Chiwa, für den Astronomen Al-Fergani (800-870) in Fergana, für den Medicus Ibn Sina (= Avicenna, 980-1037) in Buchara oder für den Politiker und Gründer der usbekischen Literatur, Alischer Nawoi (1441-1501), in Samarkand, die auf die zahlreichen und bedeutenden Leistungen der Wissenschaftler und Poeten in Zentralasien hinweisen.

Aber rühmt nicht auch Goethe in seinem West-östlichen Diwan diesen Raum, die Kultur und die dort lebenden Menschen: „Getrocknet honigsüße Früchte von Bochara, dem Sonnenland, und tausend liebliche Gedichte auf Seidenblatt von Samarkand.“

Klaus Pander, Trier, früher Professor an der Hochschule Trier, Autor mehrerer DuMont Kunst-Reiseführer für Zentralasien

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