Trennungsschmerz und kleine Sticheleien

Wenn es ein Fazit gibt nach der ersten großen Generalaussprache im Bundestag, dann dieses: Das Parlament hat keine guten Redner mehr. Wo Oskar Lafontaine krankheitsbedingt fehlt, Guido Westerwelle amtsbedingt schweigt und Sigmar Gabriel funktionsbedingt nicht sprechen soll, herrscht rhetorische Totalflaute.

Berlin. Das hat nichts mehr zu tun mit dem berühmten Schlagabtausch im Plenum früherer Zeiten: Ein laues Lüftchen brachte nur der noch nicht ganz überwundene Trennungsschmerz der einstigen Partner SPD und Union in die gestrige Debatte über den Haushalt 2010 im Bundestag.

Angela Merkel stocherte in dieser Wunde herum. Erst herzte die Kanzlerin ihren neuen Vizekanzler von der FDP, Guido Westerwelle, bei der Begrüßung so demonstrativ, dass es allen Fotografen auffiel. Anschließend erinnerte sie die verflossenen Partner von der SPD süffisant daran, dass die bis vor kurzem vieles von dem mitbeschlossen hätten, was Schwarz-Gelb jetzt auf den Weg bringe. Zum Beispiel die Kindergelderhöhung. "Wenn das plötzlich mit Ihrem Wechsel in die Opposition nicht mehr vernünftig sein soll, dann müssen Sie selbst damit fertig werden", rief Merkel in Richtung Frank-Walter Steinmeier, Westerwelles Vorgänger, aus. Auch die Spielräume für das schwarz-gelbe Wachstumsbeschleunigungsgesetz hätten sich erst durch die Arbeit der Großen Koalition ergeben, legte die Kanzlerin noch nach.

Keine leichte Aufgabe also für Frank-Walter Steinmeier, dem von einigen Medien und Genossen die Eignung als Oppositionsführer abgesprochen wird. Gestern allerdings machte er Punkte. Er nutzte die gemeinsame Vergangenheit mit der Union für einen Konter. Direkt sprach er Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wegen der ungeklärten Finanzierung weiterer Steuersenkungen an. Er habe Schäuble als einen klugen und seriösen Politiker kennen- und schätzen gelernt, schmeichelte Steinmeier. "Ich frage Sie, Herr Schäuble, warum sie dieses Theater mitmachen. Sagen Sie die Wahrheit!" Damit schien Steinmeier nun seinerseits einen wunden Punkt getroffen zu haben. Jedenfalls machten Westerwelle und Merkel, eben noch spöttisch grinsend, sofort ein ernstes Gesicht. Keiner in der Regierung weiß nämlich, wie Schäuble sich verhalten wird, wenn im Mai die Steuerschätzung vorliegt und er tatsächlich ein Reform-Konzept vorlegen soll.

Steinmeier scheute auch vor einer persönlichen Attacke gegen Merkel nicht zurück. Die Kanzlerin habe großen Anteil am "Fehlstart" der schwarz-gelben Koalition, sagte er. Sie spiele FDP und CSU gegeneinander aus, um selbst besser da zu stehen. "Das ist nicht fair, das ist nicht offen, das ist kein Leitungsverhalten einer Kanzlerin", rief Steinmeier aus. Als Außenminister hatte er sich mitunter über dieses Verhalten Merkels beklagt, aber nie öffentlich. Hier dürfte gestern ein Tischtuch zerschnitten worden sein.

Diese Auseinandersetzung war das Highlight des gestrigen (Bundes-)Tages, das der Linke Gregor Gysi nicht toppen konnte. Er verwandte so oft das Wort Skandal, dass die Journalisten belustigt Strichlisten zu machen begannen. Bei zehn endeten sie. Renate Künast wiederum konzentrierte ihre schärfste Attacke auf ein FDP-Plakat, auf dem es heißt, die Liberalen hätten "Wort gehalten". Es müsse "Hand aufgehalten" heißen, meinte die Grünen-Fraktionschefin wegen der hohen Spenden einer Hotel-Kette für Westerwelles Partei.

Immer wieder wurde die Regierung aufgefordert zu sagen, wo sie kürzen wolle, um die Schulden abzubauen und um die geplanten Steuersenkungen zu finanzieren. Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger wich dem zunächst nicht aus und sagte, man werde sich "weitere Entlastungsspielräume erarbeiten".

Sofort setzten Zwischenrufe ein: "Wo denn? Wo denn?" Dazu werde die Koalition im Herbst ein Gesamtkonzept vorlegen, antwortete Homburger. Nun wurde es doch ein wenig stürmisch im Bundestag, weil im Mai in Nordrhein-Westfalen gewählt wird. "Im Himmel ist Jahrmarkt", rief Steinmeier, und Gysi nannte diesen Zeitplan ausnahmsweise einmal nicht Skandal, sondern einen "Wahlbetrug mit Ansage".

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