Erst Geldregen, dann Kostenbremse

Bundesfinanzminster Wolfgang Schäuble schwört die Deutschen schon mal auf massive Einschnitte ein. Schon 2011 müssten "schwerwiegende Entscheidungen" getroffen werden, die auch vor Einschnitten in gesetzliche Leistungen nicht haltmachten.

Berlin. Wolfgang Schäuble hatte sich wieder einmal weit aus dem Fenster gelehnt: Nicht vor Mitte 2010 werde die Koalition darüber befinden, "ob, wann und wie viel" zusätzliche Steuerentlastungen noch drin seien, meinte der Bundesfinanzminister zu Wochenbeginn.

Dumm nur, dass der Text schon zum Zeitpunkt der Drucklegung überholt war. Denn die Spitzen der Regierungsparteien hatten sich da bereits öffentlich in die Hand versprochen, an einer großen Steuerreform festzuhalten. Umso mehr durfte man darauf gespannt sein, wie der CDU-Politiker gestern in seiner Bundestagsrede zum Auftakt der viertägigen Haushaltsdebatte mit der Schlappe umgehen würde. Nun, der Badener reagierte, indem er offiziell gar nicht reagierte: Begriffe wie Steuern oder Steuersenkungen vermied Schäuble in seinem Vortrag gänzlich.

Wer allerdings zwischen den Zeilen las, erfuhr, dass der Kassenwart vom jüngsten Schwur der Koalitionsoberen alles andere als angetan ist. Schäuble sprach auffällig viel vom Sparen und von einer "finanzpolitischen Herkulesaufgabe", um der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse ab 2016 zu genügen. Im Umkehrschluss heißt das: Zusätzliche Einnahmeausfälle des Staates sind so ziemlich das letzte, was ein Finanzminister bei diesem Kraftakt gebrauchen kann.

Im laufenden Jahr wird das Geld allerdings mit vollen Händen unters Volk gebracht. Auf gut 325 Milliarden Euro will der Bund seine Ausgaben steigern. Das sind über 22 Milliarden Euro mehr als 2009. Weil die Wirtschafts- und Finanzkrise aber riesige Löcher in die öffentlichen Kassen gerissen hat, muss sich Schäuble dafür 85,8 Milliarden Euro von den Banken leihen.

Nimmt man noch die Schattenhaushalte für die Konjunkturpakete und den Bankenrettungsfonds hinzu, beträgt die Neuverschuldung sogar mehr als 100 Milliarden Euro. Das ist absoluter Negativrekord in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Schäuble begründete die Schuldenorgie mit der immer "noch sehr ernsten und beispiellosen wirtschaftlichen Gesamtsituation". Allein zur Stützung des Arbeitsmarktes müsse der Bund 23,3 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Weitere Milliarden seien zur Beitragsstabilisierung im Gesundheitswesen notwendig, rechnete Schäuble vor.

Schleierhaft ist, wie der Bund schon ab 2011 wieder vom Schuldenberg herunterkommen will. Fest steht nur, dass bis 2016 jährlich mindestes zehn Milliarden Euro eingespart werden müssen. Das gebietet die vereinbarte Schuldenbremse. Bei zusätzlichen Steuersenkungen würde sich der Konsolidierungsbedarf noch weiter erhöhen. Über Details künftiger Sparprogramme hüllte sich Schäuble auch gestern wieder in Schweigen.

177 Milliarden Euro sind für Sozialausgaben reserviert



Er sprach aber von "schwerwiegenden Entscheidungen", die auch vor Einschnitten in gesetzliche Leistungen nicht haltmachen könnten. Was das bedeutet, zeigt ein Blick auf die Struktur des aktuellen Haushaltsentwurfs: Knapp 177 Milliarden Euro, also mehr als die Hälfte des Gesamtetats sind für Sozialausgaben inklusive Familienleistungen und Zuschüsse an die Rentenkasse reserviert. An diesem Kostenblock würde der Rotstift wohl zuerst ansetzen.

Die Opposition zeigte sich einmal mehr empört, dass die Regierung mit den Grausamkeiten hinter dem Berg hält. Der Haushaltsexperte der Grünen, Alexander Bonde, warf Schwarz-Gelb vor, die Konsolidierungsstrategie bewusst zu verschleiern. Für den drastischen Schuldenabbau sei dann womöglich erst die Nachfolge-Regierung zuständig.

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