Trier Der Kultursommer entstaubt den Begriff der Heimat

Trier · Der Kultursommer Rheinland-Pfalz hat den entstaubt und neu beleuchtet. Was Dichter, Musiker, Filmemacher und Co. dazu sagen.

 Unter anderem der berühmte schwedische Männerchor Orphei Drägar trat im Rahmen der Veranstaltungsreihe auf. Ihm gehören 80 Sänger an.

Unter anderem der berühmte schwedische Männerchor Orphei Drägar trat im Rahmen der Veranstaltungsreihe auf. Ihm gehören 80 Sänger an.

Foto: Kutursommer

Die deutsche Sprache hat – wie jede andere auch – Wörter, die im Grunde unübersetzbar sind. „Heimat“ ist so eines, das jeder Mensch sofort mit einer Empfindung assoziiert und dessen Stimmung und Gefühl weder beispielsweise das englische „homeland“ oder „native country“, noch das französische „la patrie“ und auch nicht das spanische „país“ oder „tierra natal“ in seiner ganzen Bedeutungsbreite abdecken.

„Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“, singt Herbert Grönemeyer seit 20 Jahren. Aber Heimat ist auch ein Wort, mit dem mancher so seine Schwierigkeiten hat – nicht nur aus historisch-politischen Gründen. So war es Wagnis und Provokation gleichermaßen, als der aus Morbach stammende Filmemacher Edgar Reitz den ersten Teil seiner monumentalen Fernsehserie 1981 auf Vorschlag des Produzenten Bernd Eichinger schlicht mit „Heimat“ überschrieb – zu einer Zeit, als dieser Begriff wegen der Blut- und Boden-Ideologie der Nationalsozialisten noch recht negativ besetzt war – und ein ziemlich berüchtigtes Genre des deutschen Kinos unter dem Begriff „Heimatfilm“ florierte.

Knapp 40 Jahre, mehrere Revolutionen und zahlreiche Generationenkonflikte später haftet dem Wort „Heimat“ zwar immer noch eine Aura von Biederkeit und Schonerdeckchen an. Man sagt lieber „Ich komme aus …“ anstatt „Meine Heimat ist …“. Vielleicht war das auch der Grund, warum man als Motto des Kultursommers Rheinland-Pfalz eine nicht existierende Form des Begriffes gewählt hat: „Heimaten“ – was eher Irritationen auslöste statt ein genervtes „Oh nein!“

Heimaten – was sollte das sein? Zumindest war es ein Anlass für rege Diskussionen in einer Zeit, in der die Heimat, ohne das Wort in den Mund zu nehmen, gegen eine wie auch immer geartete „Fremdeinwirkung“ verteidigt wurde. Und immer stand (und steht) die Angst im Vordergrund, dass einem in dieser Heimat der Platz streitig gemacht, dass man, so die absurde Befürchtung gewisser politischer Kreise, selbst zu „Heimatvertriebenen“ („Umvolkung“ ist der in diesen Zirkeln gängige Begriff) werden könnte, wie ganze Bevölkerungsschichten unmittelbar nach dem Krieg – nicht immer mit freundlichem oder bedauernswertem Unterton – beschrieben wurden.

Wenn Heimat ein Gefühl ist, kann sie genau genommen überall sein – eben dort, wo man sich „heimisch“, also wohlfühlt. Denn nur da möchte man schließlich – bleiben wir im sprachlichen Duktus – verweilen, das heißt, Zeit, Lebenszeit verbringen. Unter diesem Gesichtspunkt kann Heimat überall auf der Welt sein – zumindest überall dort, wo sich dieses Gefühl einstellt.

Identität und Zugehörigkeit war ja auch das übergreifende Thema des  Kultursommers, verbunden mit der Frage, ob dies „immer eindeutig und unveränderlich“ zu beantworten sei – wobei die Antwort in dieser suggerierenden Fragestellung bereits implizit enthalten ist. Weil eben diese Eindeutigkeit fehlt, kann Heimat zwar mit Hilfe geografischer Koordinaten bestimmt werden – anhand der Wohnung, der Arbeitsstätte, Familie und Freunde, die man an diesem Ort um sich versammelt. Aber es liegt eben genau an diesen Komponenten, ob dieses volatile Gefühl von „Heimat“ spürbar wird. Insofern ist Heimat eben keine Ortsbestimmung, sondern ein soziologischer Begriff.

 Heimat – ein Begriff, der es noch immer schwer hat. Mit „Heimaten“ hat der Kultursommer diesen Begriff als sein Motto aufgegriffen.

Heimat – ein Begriff, der es noch immer schwer hat. Mit „Heimaten“ hat der Kultursommer diesen Begriff als sein Motto aufgegriffen.

Foto: Artur Feller/ARTUR FELLER

Die Dichterin Mascha Kaléko, lebenslang gezwungenermaßen auf Wanderschaft – in Polen geboren, aus Deutschland vertrieben, in Amerika Zuflucht gefunden, in Jerusalem nicht zur Ruhe gekommen und in Zürich in einem Hotelzimmer gestorben –, hat sich ebenfalls Gedanken über Heimat gemacht und das Problem damit in ihrer wunderbar lakonischen Art kurz nach ihrer Ankunft in New York bedichtet: „Es sprach zum Mister Goodwill / ein deutscher Emigrant: / „Gewiß, es bleibt dasselbe, / sag ich nun land statt Land, /  sag ich für Heimat homeland / und poem für Gedicht. / Gewiß, ich bin sehr happy: / Doch glücklich bin ich nicht.“ Besser, nein: melancholischer wurde es nie beschrieben: das Gefühl, keine Heimat zu haben. Von Heimaten ganz zu schweigen.

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