Kultur „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ...“

Trier · Warum die Buchvorstellung des Autors und Bloggers Johannes Kram zum flammenden Fanal für die Freiheit wurde.

 Eine heitere bis nachdenkliche Diskussion über Homophobie: Aktivistin Gabriele Bischoff, Justizministerin Katarina Barley, Autor Johannes Kram und Kulturdezernent Thomas Schmitt (von links).

Eine heitere bis nachdenkliche Diskussion über Homophobie: Aktivistin Gabriele Bischoff, Justizministerin Katarina Barley, Autor Johannes Kram und Kulturdezernent Thomas Schmitt (von links).

Foto: Dirk Tenbrock

Weit über 100 Menschen sind am Donnerstagabend ins Kasino am Kornmarkt gekommen, um einem Helden der modernen Zeit, dem Autor und Blogger Johannes Kram, zuzuhören. Der gebürtige Trierer lebt schon lange in Berlin, betreibt den für den Grimme-Preis nominierten und heiß diskutierten Nollendorf-Blog und ist als Autor aktiv.

Aktiv(-ist) ist er auch in der Homosexuellen-Szene, er kämpft seit Jahren für Teilhabe und Diversität dieser und anderer Minderheiten. Im Kasino stellt er sein neues Buch über die latente und offene Homophobie – quer durch alle Gesellschaftsschichten – in Deutschland vor: „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ...“ heißt das rund 180-seitige Werk, das den Zustand der angeblichen Toleranz gegenüber LGBTQI-Menschen (Lesben, Gays, Bisexuelle, Transgender, Queer und Intersexuelle) drastisch und pointiert, aber auch humorvoll und ironisch, beschreibt. Ganz Trier, vor allem das queere Trier ist da, aber auch zahlreiche Heterosexuelle sind vor Ort, dabei viel Prominenz aus der Szene, aus Kultur, Wirtschaft und Politik.

Neben einfühlsamen Lesungen aus dem Buch durch den Aktivisten Alfonso Pantisano gibt es aufschlussreiche Diskussionsrunden zum Thema. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) ist eigens aus der Hauptstadt angereist. Sie plaudert aus dem Nähkästchen der Regierungsarbeit und berichtet von schwierigen, nur teilweise fruchtbaren Diskussionen mit den Koalitionspartnern, aber auch von großen und überraschenden Erfolgen wie der kurzfristigen Einführung der „Ehe für alle“ im Jahr 2017. „Eine politische Sturzgeburt, aber ein großer Tag für die Freiheit für alle und die Zivilisation“, wie Johannes Kram kommentiert. In das gleiche Horn stoßen die weiteren Diskutanten, LGBT-Aktivistin Gabriele Bischoff berichtet jedoch von Vorfällen in großen Medienanstalten, die Schwule und Lesben immer noch diskriminierten. Der Trierer Kulturdezernent Thomas Schmitt (CDU) erzählt von vereinzelten Anfeindungen wegen seines Schwul-Seins in der Vergangenheit, hat jedoch in seinem Amt als Landtagsabgeordneter im Saarland oder jetzt als Dezernent keine Diskriminierung erlebt. „Das war hier nie ein Thema, ich bin allerdings auch immer offen damit umgegangen“ sagt der Politiker. Überhaupt kommt Krams Heimatstadt Trier in der Diskussion gut weg, man sei hier mittlerweile sehr tolerant. „Kram, du schwule Sau“, das er einst als Graffito auf seiner Schulbank lesen konnte, sei passé. Passé ist die Homophobie in der Gesellschaft aber noch lange nicht, betont der Autor. Auf Schulhöfen sei es wieder Usus „schwul“ als Beleidigung zu gebrauchen, ebenso „behindert“. Man müsse den Anfängen wehren, und selbst die sogenannte aufgeklärte, liberale Mitte der Gesellschaft sollte sich hinterfragen, ob eine durch ihre Sozialisation bedingte Homophobie noch vorhanden sei, trotz aller Toleranzbekenntnisse. Der farbige Schauspieler und Buchautor (neuestes Werk: „Nix“) Pierre Sanoussi-Bliss (spielte 18 Jahre in „Der Alte“) berichtet von Diskriminierung in der „Persilweiß-gewaschenen“ Fernsehwelt. Eric Rentmeister und Ricardo F. Baudisch singen im Rahmenprogramm gekonnt einige Lieder aus der „Operette für zwei schwule Tenöre“, dem neuen Projekt von Kram und Komponist Florian Ludewig. Yvonne Braschke trägt ein bewegendes Liebeslied aus der Feder von Kram bei, und aus Amsterdam ist das famose Gesangs-Duo Ludique wie fast alle Teilnehmer extra angereist. Kram ist ein leidenschaftlicher Streiter von großem Intellekt und noch mehr Emotion, deshalb taugt er gut als Held und Galionsfigur der Bewegung in unserer Gesellschaft, deren zivilisatorischer Fortschritt sich daran messen lässt, wie normal und egal – im doppelten Wortsinn – es ist, mit Minderheiten offen zusammenzuleben. Das nennt man dann Freiheit, wenn die Mehrheit sich über mehr Rechte für eine Minderheit freut.

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