Bei den Liberalen droht ein Sturm im Saal

Berlin · Philipp Rösler darf noch einmal zur FDP sprechen. Eine halbe Stunde Vergangenheitsbewältigung, vielleicht ein bisschen Schuldzuweisung - und tschüss. Auch Rainer Brüderle bekommt beim Parteitag in Berlin seine Redezeit. Als Erster darf er in der Generalaussprache etwas sagen, bevor es für ihn endgültig aufs Altenteil geht.

Berlin. Eine ganze Generation liberaler Führungspersönlichkeiten tritt am Wochenende endgültig ab: Westerwelle, Niebel, Leutheusser-Schnarrenberger, Homburger, Döring, van Essen. Namen, die die Nation seit Jahren kennt. Für sie alle ist Endstation in der Station, wie die Veranstaltungssäle im ehemaligen Berliner Postbahnhof heißen.
Für Christian Lindner hingegen ist der Parteitag der Startpunkt. Der 34-jährige nordrhein-westfälische Landeschef wird neuer Vorsitzender. Voraussichtlich. Sein erklärtes Projekt heißt: Wiedereinzug in den Bundestag im Jahr 2017. Schafft er es, wäre er der Retter der Partei. Davor aber ist erst einmal dieses Treffen gesetzt, das turbulent werden könnte. Zum ersten Mal seit dem Desaster vom 22. September kommen die 662 Delegierten zusammen. Gelegenheit zur Abrechnung und zum Streit um den künftigen Weg.
Nicht einmal Lindners Wahl ist sicher. Es gibt zwei unbekannte Gegenkandidaten, einen Jungliberalen aus Berlin und einen Kreisvorsitzenden aus dem Hessischen. Eigentlich keine Gefahr. Letzten Samstag beim bayerischen Landesparteitag war die Ausgangslage ähnlich. Doch statt des früheren FDP-Fraktionschefs Thomas Hacker wurde der völlig unbekannte Münchner Unternehmer Albert Duin neuer Landeschef. Seine Losung: "Der Neustart muss von der Basis ausgehen".
Lindner sagt, die FDP sei als "Wolfsgemeinschaft" dahergekommen, habe gewirkt, als grenze sie sozial Benachteiligte aus, sei unsouverän gewesen. Lindner hat einmal den Begriff des mitfühlenden Liberalismus geprägt, der von Brüderle als Säusel-Liberalismus verspottet wurde. Er benutzt ihn heute nicht mehr, meint aber immer noch dasselbe. Er will zum Beispiel in der Euro-Politik nicht der Alternative für Deutschland hinterherlaufen, sondern die Rettungspolitik fortsetzen. Nur betont er stärker als früher, dass es das Ziel sein muss, möglichst schnell wieder zu den alten Maastricht-Kriterien zurückzukommen. Den FDP-Euro-Kritiker Frank Schäffler möchte Lindner nicht gern im neuen FDP-Präsidium sehen. Schäffler kandidiert trotzdem.
Holger Zastrow, Sachsens FDP-Vorsitzender und Wirtschaftsminister, unterstützt Frank Schäffler und verlangt einen klaren wirtschaftsliberalen Kurs. Zastrow hat Lindner, der ihn als stellvertretenden Bundesvorsitzenden einbinden wollte, einen Korb gegeben. Er konzentriere sich auf Sachsen.
Der neue Vorsitzende schickt die 54-jährige Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als stellvertretende Vorsitzende und die 43-jährige hessische Kultusministerin Nicola Beer als neue Generalsekretärin ins Rennen. Ob sie gewählt werden, ist ebenso offen wie die Frage, wer dem Führungsteam noch angehört und ob es harmonieren wird. Für die anderen zwei Stellvertreter-Posten gibt es mindestens drei Bewerbungen, darunter die des als völlig unberechenbar geltenden Wolfgang Kubicki.

Extra

Die Mehrheit der Deutschen hofft auf ein Comeback der FDP. Nach dem am Donnerstag veröffentlichten ARD-"Deutschlandtrend" fänden es 59 Prozent der Bundesbürger schade, wenn die Freidemokraten in der deutschen Politik keine Rolle mehr spielen würden. 35 Prozent vertreten die Ansicht, die FDP werde nicht mehr benötigt. dpa

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