Corona-Krise Land erlaubt wieder Besuche in Heimen

Trier/Mainz · Strikte Verbote sorgten für Ärger bei Senioren und Angehörigen. Nun warnen Pfleger vor einem Ansturm zum Muttertag.

 Anne-Katrin Lampe besucht mit einem Blumenstrauß ihre 80-jährige Mutter Bärbel Prütz am wegen der Corona-Krise für Besucher abgesperrten AWO Seniorenhaus Schelfwerder. Regelmäßig besucht die Familie die Bewohnerin der Pflegeeinrichtung und winken sich durch das große Fenster im Erdgeschoss zu. In Rheinland-Pfalz wird der Umgang nun gelockert.

Anne-Katrin Lampe besucht mit einem Blumenstrauß ihre 80-jährige Mutter Bärbel Prütz am wegen der Corona-Krise für Besucher abgesperrten AWO Seniorenhaus Schelfwerder. Regelmäßig besucht die Familie die Bewohnerin der Pflegeeinrichtung und winken sich durch das große Fenster im Erdgeschoss zu. In Rheinland-Pfalz wird der Umgang nun gelockert.

Foto: dpa/Jens Büttner

Senioren hockten alleine in ihren Zimmern, vermissten ihre Familien, durften Kindern höchstens im sicheren Abstand vom Balkon aus zuwinken: Das strikte Besuchsverbot, das in den Alten- und Pflegeheimen in Rheinland-Pfalz seit Mitte April wegen Corona gilt, ist zuletzt auf massive Kritik gestoßen, weil Ältere zu vereinsamen drohten. Das Land reagiert nun, lockert ab diesem Donnerstag wieder die Vorschriften und erlaubt erste Besuche.

Nach wie vor gelten aber strenge Regeln. Eine Person darf nun pro Tag einen Bewohner für höchstens eine Stunde besuchen, sagte Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) in Mainz. Der Besucher könne der Familie angehören, aber auch ein Freund oder Bekannter sein, sagte die Ministerin. Besucher müssen sich bei Heimen anmelden, damit Einrichtungen nachvollziehen können, wer im Heim war und bei einer Infektionsgefahr benachrichtigt werden müsse, erläuterte die Ministerin. Es gelte auch, den Abstand von 1,50 Meter zu wahren, sich die Hände zu desinfizieren sowie Mund- und Nasenschutz zu tragen. Besuche – so rät das Land – sollen möglichst in separaten Räumen, auf der Terrasse oder in Gärten der Heime stattfinden.

Die Einschränkung auf einen Besucher pro Tag gelte nicht für Seelsorger, Notare, Rechtsanwälte und auch nicht für Hausärzte, Fußpfleger oder Physiotherapeuten, räumte Bätzing-Lichtenthäler ein. Wo Bewohner im Sterben liegen, verzichte das Land darauf, die Zahl der Besucher zu begrenzen. Dort dürften auch mehr Angehörige und Freunde Abschied von geliebten Mitmenschen nehmen, teilte die Ministerin mit. Lockerungen gibt es auch beim Ausgang: Senioren dürften nun wieder mit einem Angehörigen oder Bekannten das Heim verlassen, um spazieren zu gehen, wenn sie Schutzkleidung dabei tragen. Kein Besuchsrecht gebe es für Menschen mit Atemwegserkrankungen oder in Heimen, wo Menschen an Corona erkrankt sind. Die neuen Regeln des Landes gelten zunächst für 14 Tage. „Dann werden wir erneut prüfen, ob der Spagat aus Gesundheitsschutz und Freiheitsrechten weiter gegeben ist“, sagte Bätzing-Lichtenthäler.

Regine Schuster, Vorsitzende der Pflegegesellschaft in Rheinland-Pfalz, lobte den gelockerten Umgang mit Besuchen. „Viele Menschen haben stark darunter gelitten, ihre Familien nicht in ihrer Nähe zu haben. Es ist nicht das Gleiche, Angehörige in einer Video-Botschaft oder aus dem Fenster zu sehen“, sagte Schuster. Sie kritisierte jedoch den Druck des Landes auf die Träger, die neuen Regeln schleunigst umsetzen zu müssen. „Gerade, weil am Sonntag Muttertag ist, befürchte ich einen Ansturm auf die Heime. Angehörige müssen Verständnis dafür haben, dass nicht vom ersten Tag alles rund läuft“, warnte Schuster. Ministerin Bätzing-Lichtenthäler reagierte auf die Kritik und verwies auf das Hausrecht, das Einrichtungen wahrnehmen dürfen. „Wenn die Kapazitäten an einem Tag ausgeschöpft sind, können sie Besucher auf einen anderen Tag schieben“, schränkte die Ministerin ein.

Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer forderte mehr Tests in den Heimen. „Es kann nicht sein, dass Spieler in der Fußball-Bundesliga aus Volksbelustigung häufiger und gründlicher getestet werden als Senioren.“ Jeder Bewohner und jeder Mitarbeiter in Rheinland-Pfalz solle innerhalb von fünf bis sieben Tagen mindestens einmal auf das Coronavirus getestet werden, erwartete der Trierer. Bätzing-Lichtenthäler kündigte in Mainz an, Tests in Heimen auszuweiten. Wer aus Kliniken in seine Einrichtung zurückkehrt, soll für sieben Tagen in Quarantäne und in dieser Zeit dreimal getestet werden. Fielen die Tests negativ aus, sei die Quarantäne beendet, der Bewohner müsse aber dann noch für eine Woche Mund- und Nasenschutz tragen, so die SPD-Politikerin. Regelmäßig jeden Bewohner ohne Verdacht zu testen, lehnt Bätzing-Lichtenthäler ab, weil das keine Sicherheit biete. Wo es eine Corona-Erkrankung gibt, sollen alle Bewohner und Mitarbeiter aus dem gesamten Haus oder dem Gebäudetrakt innerhalb von zwei Wochen viermal getestet werden.

In Rheinland-Pfalz sind seit Ausbruch der Corona-Pandemie von 40 000 Heimbewohnern 129 an dem Virus erkrankt, von rund 37 000 Beschäftigten 88, teilte das Ministerium in Mainz mit. Landespflegekammer-Präsident Markus Mai warnte davor, Regeln zu stark zu lockern. Der Trierer sagt: „Besuche sollen nur möglich sein, wenn ausreichend Schutzkleidung vorhanden ist und genügend Personal überwachen kann, ob die Regeln eingehalten werden.“ Wo Pfleger fehlten, hätten sich Bewohner mit Angehörigen schon in den vergangenen Wochen an Zäunen getroffen „und förmlich abgeknutscht“, behauptet Mai. Das sei gefährlich. Der Landtagsabgeordnete Michael Wäschenbach forderte, zunächst pro Bewohner einen Besucher in der Woche zu erlauben, der zwei Stunden bleiben darf. „Nur so können die Wohneinrichtungen die hygienisch einwandfreie Nutzung von Besuchsräumen, die erforderliche Desinfektion und die hinreichende Registrierung der Besucher verantwortlich und verlässlich sicherstellen“, sagt der CDU-Politiker. Er warf der Landesregierung vor, die neue Verordnung mit „heißer Nadel gestrickt“ zu haben.

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