Zeitzeugen Die älteste Triererin feiert am 12. Mai 106. Geburtstag

Trier · Die Triererin Annemarie Zander, Grande Dame der Geschichts- und Familienforschung, feiert am Sonntag Geburtstag. Pater Franz Früh hat bereits Glückwünsche entgegengenommen. Er erzählt, wie die Nazis sein Leben veränderten.

 Annemarie Zander, geboren am 12. Mai 1913.

Annemarie Zander, geboren am 12. Mai 1913.

Foto: Roland Morgen

„Ich war ein sehr neugieriges Kind und habe den Leuten immer Löcher in den Bauch gefragt. Vor allem meinem Großvater und meinem Vater.“ Bei denen geriet Klein-Annemarie genau an die Richtigen. Sie erzählten abenteuerliche Storys von Römern, Rittern und Napoleon. Aber das Schwadronieren von Johann Elsen und Anton Propson hatte auch was Gutes: „Es weckte mein Interesse an Geschichte.“

Viele Kapitel der jüngeren Stadthistorie hat Annemarie Zander, geborene Propson, hautnah miterlebt. Als Kaiser Wilhelm II. am 14. Oktober 1913 die nach ihm benannte Moselbrücke eröffnete, war sie dabei – als Baby „gut verpackt auf Mutters Arm“.

Prägende Erinnerungen hat sie an einen Bombenangriff 1917, der ihren Heimatstadtteil Pallien traf, an die Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg, den passiven Widerstand gegen die Franzosen. „Unvergesslich“ auch der Trier-Besuch von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 11. Oktober 1930: „Ich sah einen würdigen, aber völlig übermüdet wirkenden Greis. 1933 war er nur noch eine Marionette.“ In jenem schicksalhaften Jahr absolvierte die im Dienst der Firma Lambert stehende Ex-Ursulinen-Schülerin im März („Deshalb noch ohne Führer-Brimborium“) die Gartengehilfen-Prüfung – als Einzige im Trierer Land mit sehr gut. Gartenarchitektin wurde sie dann doch nicht, sondern zeitweilig Sekretärin am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, wo die Gestapo 1944 das Abiturzeugnis von Karl Marx suchte – erfolglos: „Es war bereits in Sicherheit.“ Sich selbst konnte sie, die sich der Evakuierung Triers widersetzt hatte und blieb, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mehrfach nur knapp in Sicherheit bringen. Bombardements, Fliegerangriffe, Artilleriebeschuss, dazu Hunger und Flucht an den Rhein – „Manchmal wundere ich mich, dass ich das überlebt habe.“

Als wieder Friede herrschte, wurde sie Lohnbuchhalterin und „Fräulein vom Amt“ in der Paulinus-Druckerei. Dort lernte sie ihren späteren Mann Claus Zander (1910-2000) kennen. Mit 40 sagte Annemarie Zander dem Berufsleben Adieu. Nun konnte sie sich ihrer großen Leidenschaft Geschichtsforschung und Familienkunde widmen.

Sie wurde Stammgast in Archiven, die Wohnung der Zanders in der Trierer Südstadt entwickelte sich zur Redaktionsstube für das vom Verein Trierisch herausgegebene Neue Trierische Jahrbuch. Schriftleiter war Claus Zander von 1965 bis 1990, stets unterstützt von seiner Frau. Die war da schon längst eine gefragte Kennerin der Stadtgeschichte und der wichtigsten Familien, Amtsträger und Künstler im Erzbistum und Kurfürstentum Trier. Ihren eigenen Stammbaum kann sie bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Ein weiteres Resultat ihrer Forschung ist die Verkartung zahlreicher uralter Kirchenbücher.

Von ihrem Wissen, ihrer Hilfe und Zuarbeit haben zahlreiche Lokalhistoriker, Familienkundler und Wissenschaftler profitiert – oftmals ohne Annemarie Zanders Zutun als Quelle angemessen zu kennzeichnen. Ein Ärgernis? „Bei aller Bescheidenheit: ja.“ Aber „altersmilde“ sehe sie „darüber hinweg“. Selbst wenn sie zürnen würde, bekämen das die allermeisten derer, die gemeint sind, nicht mehr mit: „Ich habe sie fast alle überlebt, auch wenn sie deutlich jünger waren als ich.“

Wunsch zum 106. Geburtstag? Mit den Kindern und Kindeskindern ihrer Tochter Waltraud und Schwiegersohn Wolfgang Friedrich ein paar gemütliche Stunden erleben, aber nicht mit allen auf einmal, sondern nach und nach. Offizielle Gratulationsbesuche hat sie dankend abgelehnt: „Dazu bin ich zu alt“, sagt sie – und lacht.

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