Trierisch Balaawern Darüber spricht man nicht

Ich habe schon mehrmals davon geschrieben, dass Dinge oder Zustände, die die Menschen besonders beschäftigen, immer einen reichen Wortschatz nach sich ziehen. Eskimos kennen angeblich zwanzig Wörter für die Farbe des Schnees und Beduinen ebenso viele für die Farben des Sandes.

Trierisch Balaawern: Darüber spricht man nicht
Foto: h_lalu <h_lalu@volksfreund.de>

Der Trierer interessiert sich nicht so sehr für Schnee oder Sand. Wenn die oben erwähnte Theorie zutrifft, gilt der Rückschluss, dass es ganz andere Anliegen sind, die im Mittelpunkt seines Denkens stehen. Bei der riesigen Zahl der gebräuchlichen Mundart-Wörter sind das ganz sicher schon mal Essen und Trinken. Offensichtlich ist auch alles, was mit Prügelei zu tun hat, dem Trierer wichtig. Für Prügel oder Schläge finden wir im Trierer Wörterbuch einundzwanzig verschiedene Wörter und für die Verben prügeln und schlagen deren vierundzwanzig. Und das Beschimpfen anderer ist wohl auch ein ganz wichtiges Anliegen. Die Zahl der Schimpfwörter dazu ist unüberschaubar groß.

Wenn es aber so ist, dass zentrale Lebensinteressen zu einer Aufblähung des entsprechenden Wortschatzes führen, dann ist das Folgende zunächst nur schwer zu verstehen: Wir sind uns ja alle darüber einig, dass die Sexualität und die damit verbundenen Beschäftigungen immer schon ganz bedeutungsvolle Dinge waren. Da sollte man eigentlich erwarten, dass die Mundart dafür auch die entsprechend große Zahl von Wörtern bereithält. Tut sie aber nicht! Nichts ist dazu zu finden! Nicht im Wörterbuch von Prof. Peter Christa von 1927 und auch nicht in den Texten unserer Mundartautoren bis in die Gegenwart hinein. Und die Erklärung dafür: Das Thema war in Zeiten, als die Mundart noch Allgemeingut war, derart tabuisiert, dass darüber niemals gesprochen wurde. Da brauchte man dafür natürlich auch keine Wörter.

Stimmt nicht ganz! Zumindest ein echtes Mundartwort für Koitus gibt es jedenfalls heute, nämlich das Wort Knöbbschi (Knöpfchen). Inzwischen ist es weit verbreitet, Und es gibt sogar einen Kalauer dazu: “Was ist des Trierers liebster Wintersport?“ „Knöbb-Schi!“ Die Verben buijen und jacheln für koitieren kann man auch gelegentlich hören. Aber das ist kein Trierer Platt. Das sind ziemlich vulgäre Wörter aus dem Rotwelschen, die sich später reingeschmuggelt haben. Außerdem sind inzwischen zu dem Thema Sexualität zahlreiche Begriffe aus der deutschen Umgangssprache gebräuchlich geworden. Aber auch die zählen nicht als Mundartwörter.

Ein ganz ähnliches Tabu gab es auch auf einem anderen Gebiet, das im täglichen Leben eine ähnlich wichtige Rolle spielte, nämlich Kirche und Religion. Auch hier sollte man zunächst erwarten, auf einen großen Wortschatz zu treffen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Mundartliches zu diesem Komplex ist ganz selten zu finden.

Außer ein paar Heiligen-Anrufungen wie „Ao majuusebedder!“ oder „Ao majuu Kädd!“ fällt mir dazu lediglich das Weihnachts-Kirchenlied „Erde singe, das es klinge….“ ein, das scherzhaft das „Wasserlied“ genannt wurde. Heißt es doch da am Ende der ersten Strophe: „Waaßer schuf, Waaßer gebaut, preist ihn laut!“

Weitere Kolumnen finden Sie im Buch „Platt ist nicht platt“ von Horst Schmitt, Verlag Michael Weyand, 14,95 Euro, erhältlich auch unter volksfreund-shop.de

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