Gastronomie Gasthaus Stenglein in Ruwer: „Hier wurde Menschlichkeit großgeschrieben“

Trier-Ruwer · 90 Jahre lang hat das Gasthaus Stenglein Ruwer geprägt bis zur Schließung Ende 2019. Die Menschen denken mit Wehmut und Dankbarkeit daran. Doch die Erinnerung an schöne, verbindende Erlebnisse bleibt wach.

 Beliebter Treffpunkt der Einwohner und Besucher: das ehemalige Gasthaus Stenglein in Trier-Ruwer.

Beliebter Treffpunkt der Einwohner und Besucher: das ehemalige Gasthaus Stenglein in Trier-Ruwer.

Foto: Mike Klencher

Drei Generationen lang war das Gasthaus Stenglein Ruwers Mittelpunkt. Nach dem plötzlichen Tod von Gastwirt Werner Stenglein am 9. März 2018 haben seine Tochter Silke und sein Bruder Josef der Witwe Hanna Stenglein, die bis dahin mit ihrem Mann zusammenarbeitete, unter die Arme gegriffen. Ebenso halfen Silkes Geschwister Jörg und Tanja mit. Den Betrieb im Fischweg zunächst fortzuführen, lag auch am Pflichtgefühl der Familie Stenglein gegenüber ihrem Heimatort.

Es war für die Familie jedoch von Anfang an klar, dass es nicht ewig so weitergehen würde. Silke ist berufstätig als Heilerziehungspflegerin, und sie ist junge Mutter. Jörg arbeitet hauptberuflich als Koch. Es kam viel Hilfe vom erweiterten Familienkreis und Freunden, doch letztlich erschien es der Familie nicht möglich, den Betrieb der Gaststätte dauerhaft ohne Werner Stenglein weiterzuführen.

Die Familie hat im vergangenen Jahr viel Rückhalt zu spüren bekommen und ihre Dankbarkeit mit einer letzten großen Feier an Silvester gezeigt, zu der alle eingeladen waren. Um 5 Uhr morgens verließen die letzten Gäste die Kneipe.

„Man ist hier immer füreinander da gewesen“: Darüber sind sich alle einig. Die Kneipe galt als Treffpunkt aller in Trier-Ruwer lebenden Menschen. Für viele war dieser Ort bis zum Schluss etwas ganz Besonderes. Dort trafen sich Leute aus allen Schichten auf Augenhöhe. Ob dreiteiliger Anzug, Blaumann oder gar Reiter samt Ross: Dort wurden alle Gäste gleich behandelt.

„Es war ein Zusammenhalt da, der heutzutage immer mehr flöten geht“, erzählen Silke und Josef Stenglein. „Hier gibt es keinen Handyempfang, deswegen sind die Leute quasi dazu gezwungen, sich miteinander zu unterhalten.“ Das habe das Gasthaus so besonders gemacht, man habe sich auf einander verlassen können. Das soziale Gefüge sei einzigartig gewesen. Lothar Pelzer, häufiger Gast im Lokal, sagt im Rückblick: „In diesem Haus wurde Menschlichkeit großgeschrieben.“

Wenn ein Stammgast unerwartet fehlte, gab es auch schon mal einen Anruf zu Hause, um nach ihm zu fragen. Wenn jemand zu tief ins Glas geschaut hatte, wurde er nach Hause gefahren. Bei Trauerfällen kümmerte sich die Gemeinschaft um die Betroffenen und fing sie auf. Wenn es Schwierigkeiten mit Behörden gab, halfen sich die Menschen zum Beispiel beim Ausfüllen von Dokumenten. Wenn es etwas zu feiern gab, freuten sich alle mit.

Die Skatrunden waren legendär. Es gab viele Stammgäste, die einfach gerne vorbeikamen um ein Bierchen zu trinken oder sich mit anderen Gästen zu treffen. Bei Fußball-Welt- und -Europameisterschaften gab es große Feiern. Josef Stenglein erinnert sich besonders an das „Wunder von Bern“ mit dem deutschen WM-Sieg 1954, als er noch ein kleiner Bub war. Auch der WM-Sieg 2014 wurde in Ruwer groß gefeiert. Die Enttäuschung, als die Mannschaft in der Gruppenphase der WM 2018 aus dem Turnier flog, wird so schnell auch niemand vergessen.

Fastnachtsdienstage waren jedes Jahr ein Fest, da in der Nähe der Umzug endete und die Feier im Gasthaus Stenglein weiterging. Mehrere Vereine hatten dort ihr Domizil. Der Musikverein Ruwer stellte auf dem Gelände der Familie Stenglein in den vergangenen fünf Jahren den Maibaum mit entsprechendem Programm auf und veranstaltete zweimal sehr erfolgreich ein Open-Air-Konzert im Biergarten.

Das Gasthaus war so etwas wie das Kommunikationszentrum Ruwers. Wer abends dort ankam, erfuhr vieles über das Geschehen im Stadtteil und konnte sich in etlichen Zeitungen und Zeitschriften auch über die Nachrichten aus der Region, aus Deutschland und der Welt informieren.

Silke Stenglein wuchs sozusagen im Lokal Stenglein auf: „Das war unser Alltag. Hier in der Kneipe wurden Verhandlungen darüber geführt, wie lang man ausgehen darf, wobei teilweise die Gäste mitdiskutierten.“ Ähnlich erinnert sich Josef: „Als Kind habe ich hier noch Ball gespielt. Wenn er auf die Straße geraten ist, dann ist er auch mal in der Ruwer gelandet.“

Was im Stenglein passierte, können nur diejenigen berichten, die dabei waren. Denn, so erklärt Silke Stenglein: „Die Verschwiegenheit hat hier auch Tradition.“

Die Schließung ist für den Stadtteil und die umliegenden Orte ein herber Verlust. Bürger haben nachgezählt und kamen auf das Ergebnis: Allein in Ruwer sind seit 1982 insgesamt neun Kneipen für immer verschwunden.

 Bei Sonnenschein lockte der idyllische Biergarten.

Bei Sonnenschein lockte der idyllische Biergarten.

Foto: Mike Klencher

Lothar Pelzer: „Wenn man sich vielleicht auch hier und da mal eher zufällig an anderer Stelle trifft - nichts wird mehr so sein, wie es im Hause Stenglein war! Generationenübergreifend bleibt festzuhalten: Danke, dass es dieses Haus, die Familie Stenglein und all die Menschen, die dort ein- und ausgingen, gab!“

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