TV-Serie Spochtipedia Rollstuhl-Rugby: Eine Mischung aus Autoscooter und Schach

Moutfort · Gehandicapte Athleten, für die Rollstuhl-Basketball nicht geeignet ist, können sich beim Rollstuhl-Rugby austoben. Bei dem Sport geht es hart zur Sache, wenngleich er mit Rugby nur bedingt etwas zu tun hat.

 Rums! Beim Rollstuhl-Rugby ist das Rammen und Blocken mit speziell für den Sport gebauten Stühlen nicht nur erlaubt, sondern erwünscht.

Rums! Beim Rollstuhl-Rugby ist das Rammen und Blocken mit speziell für den Sport gebauten Stühlen nicht nur erlaubt, sondern erwünscht.

Foto: privat

Wenn die Rollstühle bei vollem Tempo aufeinanderprallen, rumst es gewaltig. Das ist nichts für Zartbesaitete. Und (gewollte) Kollisionen gibt’s zuhauf. Beim Rollstuhl-Rugby geht’s zur Sache. Rammen und Blocken mit den speziellen Rugby-Stühlen ist erlaubt und erwünscht, Körperkontakt dagegen verboten.

„Obwohl der Name in der Sportart vorkommt, hat Rollstuhl-Rugby wenig mit Rugby zu tun“, klärt Steve Diederich auf. Vielmehr sei es eine Mischung aus Autoscooter und Schach. Autoscooter – weil die Rollstühle häufig ineinanderrauschen. Und Schach, weil der Sport sehr taktisch geprägt ist.

Der 34-jährige Diederich aus dem luxemburgischen Moutfort betreibt den Sport, der in den späten  1970er Jahren in Kanada entstanden ist, seit neun Jahren. Volkssport ist Rollstuhl-Rugby nicht gerade. In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge 350 Aktive, in Luxemburg sind es zwei. Diederich ist einer von ihnen.

 Während der Rollstuhl-Basketball inzwischen eine gewisse Popularität erreicht hat, fristet Rollstuhl-Rugby ein Nischendasein. In Luxemburg betreiben gerade mal zwei Akteure den Sport. Einer von ihnen ist Steve Diederich (im Bild).

Während der Rollstuhl-Basketball inzwischen eine gewisse Popularität erreicht hat, fristet Rollstuhl-Rugby ein Nischendasein. In Luxemburg betreiben gerade mal zwei Akteure den Sport. Einer von ihnen ist Steve Diederich (im Bild).

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Was den Sport mit Rugby eint, ist das Ziel, das Spielgerät (in der Rollstuhl-Variante ein Volleyball) über eine Torlinie zu tragen. Gespielt wird auf einem Basketballfeld. Vier gegen vier. Ein Spiel dauert netto vier mal acht Minuten (mehr zu den Regeln lesen Sie im Bericht unten).

Mit der Zeit ist Rollstuhl-Rugby enorm temporeich geworden, sagt Diederich: „Die Spiele werden durch konsequentes Umschaltspiel von Offensive auf Defensive entschieden.“ Da bleibt nach Toren so gut wie keine Zeit zum Jubeln. „Die Geschwindigkeit ist das A und O in dem Sport“, sagt der selbstständige Steuerberater. Wichtig sei zudem die Kommunikation zwischen den Spielern: „Wenn die passt, können Defizite in der Schnelligkeit ausgeglichen werden.“

 Rollstuhl-Rugby vier

Rollstuhl-Rugby vier

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Durch einen Unglücksfall kam Diederich zum Rollstuhl-Rugby. Als er 21 Jahre alt war, brach er sich als Beifahrer bei einem Autounfall das Genick. Die Folge: eine Querschnittslähmung, durch die auch die Beweglichkeit mancher Finger betroffen ist. Das alte Leben war zu Ende, es begann ein neues. Im Sport hieß das: Vorbei die Zeit als Fußballer und Triathlet.

Im Rollstuhl probierte Diederich zunächst Basketball aus. Doch wegen des nicht einsetzbaren Rumpfes hätte er es in dieser Disziplin nicht allzu weit nach oben schaffen können. Anderen Querschnittsgelähmten ging und geht es ähnlich. Deshalb wurde Rollstuhl-Rugby erfunden. Zugelassen ist die Mannschaftssportart für Athleten, die an mindestens drei Gliedmaßen eingeschränkt sind.

Als Diederichs  Eltern und Freunde ihn erstmals beim Rollstuhl-Rugby besuchten, sagten sie: „Bist du verrückt?“ Doch der 34-Jährige beschwichtigt: „Die Stühle sind so gebaut, dass man sich eigentlich nicht groß verletzen kann. Ich habe mir mal einen Finger eingeklemmt. Mehr ist noch nicht passiert.“ Häufig jedoch kippen Spieler um – dann wird die Partie kurz unterbrochen, und Betreuer helfen den Sportlern wieder auf die Räder. Diederich: „Bevor man das erste Mal fällt, hat man großen Respekt davor. Aber so schlimm ist es dann nicht.“

Diederich muss weit fahren, um den Sport auszuüben. Er spielt bei einem Erst- und Zweitligisten in Freiburg, trainiert bei der RSG Koblenz und ist in der Schweiz für Nottwil am Ball. Mit einem Team namens Red Lions (Rote Löwen) belegte Diederich beim Bernd-Best-Turnier – dem weltweit größten Rollstuhl-Rugby-Turnier in Köln – jüngst in der höchsten Kategorie Rang zwei. Neben Diederich gehörten aktuelle und ehemalige Nationalspieler aus Deutschland zur Löwen-Mannschaft.

(Vereins-)Grenzen verschwimmen im Rollstuhl-Rugby. Zwischen 2014 und 2018 war Diederich auch Nationalspieler im deutschen Team. Da er mangels Mitstreitern nicht für Luxemburg spielen konnte, wurde diese Ausnahmeregelung möglich. Er bestritt eine Weltmeisterschaft, zwei Europameisterschaften und ein Qualifikationsturnier zu den Paralympischen Spielen.

Wegen der weiten Wege ist Teamtraining bei weitem nicht so ausgeprägt wie in anderen Sportarten. Gleichzeitig ist das Verständnis unter den Spielern wichtig. Ein Spagat. Doch Diederich sagt: „Ab einem bestimmten Niveau kennen die Spieler die gängigen Systeme in der Offensive und Defensive – da ist es dann nicht so wichtig, wer die Mitspieler sind.“

Die speziellen Rollstühle sind auf die Sportler abgestimmt und aus gehärtetem Aluminium. Stückpreis: laut Diederich zwischen 8000 und 11 000 Euro. Die Räder haben eine Neigung, um die Verletzungsgefahr zu minimieren und eine hohe Wendigkeit zu gewährleisten.

Es gibt unterschiedliche Stühle für mehr oder weniger eingeschränkte Sportler. Wer große motorische Einschränkungen hat, fährt einen sogenannten „Lowpoint-Stuhl“. Er ist so konstruiert, dass er sich mit anderen Rollstühlen verhaken kann und diese so am Weiterfahren hindert. Deshalb spielen Sportler in diesen Stühlen häufig in der Verteidigung.

Die Spieler mit einem nicht ganz so großen Handicap sind meist im Offensivspiel eingebunden, sie fahren sogenannte Highpoint-Stühle. Sie sind so gebaut, dass sie schnell und wendig sind. Vorne besitzen sie einen runden Stoßdämpfer, der andere Rollstühle daran hindern soll, sich darin zu verhaken.

Ohne Handschuhe und Armschutz geht bei den Rollstuhl-Rugby-Spielern gar nichts. „Würde ich den Rollstuhl mit den bloßen Händen fortbewegen, hätte ich sofort blutige Wunden“, sagt Diederich.

Der Luxemburger muss seine Energie komplett aus den Oberarmen schöpfen. International setzen die Topnationen immer mehr auf Sportler mit (Teil-)Amputationen statt mit einer Querschnittslähmung. Ihre ,Vorteile’ beim Rollstuhl-Rugby im Vergleich zu Diederich: Sie können dank einsetzbarer Rumpfmuskulatur besser beschleunigen, und sie sind im Rollstuhl wendiger. „Ich kann international noch mithalten, aber mein ,Profil‘ fällt weg“, erklärt Diederich. Er sagt das ganz nüchtern. Dabei klingt es doch irgendwie ein bisschen makaber.

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